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Das "Pruzzenland" als gebrochene Erinnerungsregion. Konstruktion und Repräsentation eines europäischen Geschichtsraums in Deutschland, Polen, Litauen und Russland seit 1900.

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2010 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 173900881
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das „Pruzzenland" ist eine Region im nordöstlichen Europa, die von vielfältigen kulturellen und multiethnischen Traditionen, aber auch historisch von konkurrierenden Ansprüchen zwischen Deutschland, Polen, Litauen und Russland gekennzeichnet war. Die wohl weitreichendste Zäsur stellten die Verschiebung der nationalstaatlichen Grenzen und der nahezu vollständige Austausch der Bevölkerung im Gefolge des Zweiten Weltkriegs dar. In jüngster Zeit dient der Umgang mit der Vergangenheit als wichtige Ressource für die Suche nach regionaler Identität in Polen, Litauen und Russland. Diese Identitätskonstruktionen wurden bislang allerdings überwiegend in einem nationalstaatlichen Kontext analysiert. Das Projekt, das sich aus je einer Arbeitsgruppe am Georg-Eckert-Institut - Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, Braunschweig und am Institut für Geschichte und internationale Beziehungen, Ermländisch-Masurische Universität, Olsztyn zusammensetzte, hat nun mit dem Medium Schulbuch eine nationale, oft zugleich zentralstaatlich verfasste Quelle „gegen den Strich gebürstet", um für die Zeit seit 1900 narrativen, erinnerungskulturellen Fragmenten und Identitätskonstruktionen nachzugehen, die sich auf eine Region beziehen, und gezielt auf Zusammenhänge und Wechselwirkungen über nationalstaatliche Grenzen hinweg befragt. Zentrales Produkt der Zusammenarbeit beider Gruppen ist eine international vergleichende Schulbuchanalyse, publiziert in einem wissenschaftlichen Projektband mit je einer deutschen und einer polnischen Ausgabe. Das Projekt profitierte erheblich von den einzigartigen Bibliotheksbeständen des Georg-Eckert-Instituts, das die deutschsprachigen Unterrichtsmaterialien umfassend für das 20. Jahrhundert sowie die russisch-, polnisch- und litauischsprachigen Werke für die Zeit nach 1945 bis in die Gegenwart gesammelt hat. Auf Initiative der polnischen Projektpartner wurden auch Schulbücher des osteuropäischen politischen Exils seit den 1940er Jahren erschlossen, die bislang von der Historischen Bildungsmedienforschung noch überhaupt nicht beachtet worden sind. Insgesamt umfasste das Sample rund 800 Schulbücher aus Deutschland, Polen, Litauen und Russland (bzw. Sowjetunion) und überstieg damit ursprüngliche Schätzungen deutlich. Grund hierfür war in erster Linie die starke Pluralisierung und Diversifizierung der Schulbuchproduktion in Mittel- und Osteuropa seit den 1990er Jahren. Mit seinen Ergebnissen nimmt das Projekt Anteil an der internationalen Forschungsdiskussion zu europäischen Erinnerungskulturen und zur Regionalgeschichte, die derzeit bei Geschichts- und Kulturwissenschaftlern, die sich mit dem östlichen Mitteleuropa beschäftigen, eine starke Beachtung erfährt. In heutiger Sicht kann eine Region als imagined community beschrieben werden, die im Vergleich zur Nation eine größere Flexibilität und Optionalität besitzt und sich stärker auf gemeinsame Erfahrungen und Wissensbestände als auf politische Institutionen richtet. Die nähere Bestimmung einer Region kann somit durchaus erst am Ende einer Analyse stehen. Dieser Idee folgte das Projekt, indem es für das „Pruzzenland" den Zugriff über eine Analyse von mental maps und sieben zentralen Topoi wählte: „Pruzzen", „Grunwald/Tannenberg/Žalgiris", „Migration", „Konfessionen", „Persönlichkeiten", „Wirtschaft und Gesellschaft" und „Landschaft". Eine solche Vorgehensweise trägt zugleich dazu bei, die Geschichte einer Region in ihren Verflechtungen zu erfassen und in weitere Kontexte einzubinden - z. B. konfessionell, wirtschaftlich, lokal, europäisch oder global. Im Bewusstsein dieser Flexibilität und historischen Wandelbarkeit von Region ist es unwahrscheinlich, dass das „Pruzzenland", trotz vielfältiger Bezugnahmen der heutigen Bewohner auf die Vergangenheit der Region, eine politische Renaissance als früheres „Ostpreußen" erfährt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Vergessen und neu entdeckt: Das ehemalige Ostpreußen als imaginierter Raum in Geschichtsunterricht. Eine vergleichende Analyse historischer Narrative und didaktischer Konzepte am Beispiel Deutschlands, Polens und Russlands, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, 10, S. 22 - 42
    Zloch, Stephanie
  • Das ehemalige Ostpreußen im Geschichtsunterricht. Ein Vergleich deutscher, polnischer und russischer Schulbücher/Byvšaja Vostočnaja Prussija v prepodavanii istorii (na materiale nemeckich, pol’skich i russkich učebnikov), in: I. I. Devjatajkina (Hrsg.): Kul’turnaja pamjat‘ i memorial’nye kommunikacii v sovremennych učebnikach i učebnoj literatur: Opyt Rossii i Zapadnoj Evropy. Sbornik dokladov i materialov meždunarodnoj konferencii (Saratov, 25 – 28 sentjabrja 2010 g.), Saratov 2012, S. 358 - 376 [dt./russ.]
    Zloch, Stephanie
  • Grenzüberschreitungen im Schulbuch, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 64, 2013, S. 30 - 45
    Zloch, Stephanie und Izabela Lewandowska
  • Jüdische Geschichte in Ostpreußen als Thema im Schulunterricht, in: Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas u. a. (Hrsg.): „Das war mal unsere Heimat..." Jüdische Geschichte im preußischen Osten, Berlin 2013, S. 177 - 183

  • Ziemie pruskie w podrecznikach Polski, Niemiec, Litwy i Rosji. Porównawcza analiza regionalnych konstrukcji tozsamosci w XX-XXI wieku . Olsztyn 2013
    Zloch, Stephanie und Izabela Lewandowska (Hrsg.)
  • Das „Pruzzenland" als geteilte Erinnerungsregion. Konstruktion und Repräsentation eines europäischen Geschichtsraums in Deutschland, Polen, Litauen und Russland seit 1900 [Eckert. Die Schriftenreihe/Studien des Georg-Eckert-Instituts zur internationalen Bildungsmedienforschung, Bd. 135], Göttingen 2014
    Zloch, Stephanie und Izabela Lewandowska (Hrsg.)
 
 

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