Interaktion zwischen Flavonoiden und Arzneistoffen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Wechselwirkung zwischen Nahrungsergänzungs- und Arzneimitteln wird in der gegenwärtigen Literatur selten thematisiert, obwohl deren gleichzeitige Einnahme für die Wirksamkeit und Sicherheit der Arzneimitteltherapie bedenkliche Interaktionen hervorrufen kann. Mit besonderem Hinblick auf pharmakokinetische Wechselwirkungen wurde im vorliegenden Projekt der Einfluss von Quercetin und Naringin auf den intestinalen Transport und die Verstoffwechselung von Arzneistoffen im Menschen untersucht. Beide Flavonoide kommen sowohl in der Nahrung als auch in freiverkäuflichen hochdosierten Nahrungsergänzungspräparaten vor. Obwohl Quercetin die Aktivität des Effluxtransporters P-gp in vitro deutlich herabsetzt, wurde im Menschen nach der Quercetin-Behandlung keine Zu-, sondern eine Abnahme der Bioverfügbarkeit des P-gp-Substrates Talinolol beobachtet. Dies kann durch die duale Hemmung von Efflux- und OATP-vermitteltem Influxtransport erklärt werden. Demnach sind klinisch relevante Folgen der gleichzeitigen Einnahme von Quercetin und Arzneimitteln, die P-gp- und/oder OATP-Substrate sind, nicht auszuschließen. Die OATP-vermittelte Resorption von Talinolol wurde hingegen durch ein hochdosiertes Nahrungsergänzungspräparat mit dem Flavonoid Naringin nicht beeinträchtigt, obwohl Naringin nachweislich für die Hemmung des intestinalen Aufnahmetransports durch Grapefruit-Saft verantwortlich ist. Die feste Darreichungsform erfordert zusätzliche Prozesse wie Zerfall und Auflösung, welche einen zeitlichen Abstand zwischen der Flavonoid- und Arzneistoffresorption zur Folge haben und die Wahrscheinlichkeit der ortsabhängigen Wechselwirkung zwischen Naringin und Talinolol verringert. Mit dieser Interaktionsstudie wurde unserer Kenntnis nach zum ersten Mal diskutiert, dass die gleiche Substanz, die jeweils als Nahrungsergänzungsmittel bzw. über die Ernährung aufgenommen wird, die Pharmakokinetik eines Arzneistoffes unterschiedlich beeinflussen kann. Der Literatur zufolge konnte in vitro eindeutig gezeigt werden, dass Quercetin CYP3A4-katalysierte Reaktionen hemmt. In unserer Studie hatte die einmalige Gabe einer hohen Quercetin-Dosis jedoch keine Auswirkung auf die Pharmakokinetik von Midazolam und dessen 1'-Hydroxymetabolit. Andererseits führte die einwöchige wiederholte Quercetineinnahme zu einer tendenziell verminderten Bioverfügbarkeit von Midazolam. Toxische unerwünschte Ereignisse sind somit nach der gleichzeitigen Einnahme von Midazolam und Quercetin nicht zu erwarten. Vielmehr kann der wiederholte Verzehr von quercetinhaltigen Präparaten verstärkte CYP3A-Aktivität und damit verbunden eine verminderte Bioverfügbarkeit von oral verabreichten CYP3A-Substraten verursachen. Betrachtet man dieses Ergebnis vor dem Hintergrund veröffentlichter Tierversuche mit ähnlicher Fragestellung, kann geschlussfolgert werden, dass das Schweinmodell für die Vorhersage von CYP3A4-abhängigen Interaktionen im Menschen besser als das Rattenmodell geeignet ist. Durch das gleiche Quercetinpräparat wurden nach der oralen bzw. intravenösen Applikation von Midazolam gegensätzliche Veränderungen der Arzneistoffpharmakokinetik hervorgerufen. Dies deutet auf unterschiedliche Interaktionsmechanismen im hepatischen im Vergleich zum intestinalen Gewebe hin. In den durchgeführten Interaktionsstudien konnte kein Zusammenhang zwischen der Plasmakonzentration von Quercetin und dessen Einfluss auf die Pharmakokinetik des Arzneistoffes festgestellt werden. Die effektive Konzentration des Flavonoids lässt sich demzufolge nicht allgemein von dessen systemischer Verfügbarkeit ableiten, sondern sollte auf zellulärer Ebene am Interaktionsort ermittelt und unter Beachtung der Metabolisierungswege in vivo interpretiert werden. Insbesondere zeigt der Vergleich individueller Daten von sechs Patienten, die sowohl an der Quercetin-Talinolol- als auch an der Quercetin-Midazolam-Studie teilnahmen, erstmalig, dass auch die Pharmakokinetik des Flavonoids durch den Arzneistoff beeinflusst werden kann. Die Ergebnisse dieses DFG-geförderten Projekts, die in drei wissenschaftlichen Aufsätzen und mehreren Kongressbeiträgen veröffentlicht worden sind, ermöglichen erste wichtige klinische Bewertungen zu Interaktionen zwischen ausgewählten Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneistoffen auf Basis kontrollierter Studien am Menschen. Dadurch eröffnen sich aber auch neue Hypothesen für nicht-konventionelle Interaktionen, z.B. zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und Formulierungsbestandteilen von Arzneimitteln, die klinische Bedeutung haben können, und die zukünftig näher untersucht werden sollten.