Methode der Emotionsanalyse im Drama. Mit einem historischen Teil zu Neid und Intrige in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt hat eine Methode zur Emotionsanalyse im Drama erarbeitet, die eine detaillierte, systematische Textarbeit ermöglicht. Auf der Grundlage des dramatischen Kommunikationsmodells (Manfred Pfister), das auf kommunikationstheoretischen und strukturalistischen Prämissen beruht, wurde ein dominant rhetorisch fundiertes Verfahren entwickelt. Das hat den Vorteil, dass die Terminologie bereits eingeführt und pragmatisch anwendbar ist, ohne die Komplexität des Gegenstands zu unterschätzen. Gleichzeitig konnte so das oft in der Emotionsforschung beklagte Forschungsdefizit zur rhetorischen Affektenlehre behoben werden. Aufgrund der Eigenschaften des Gegenstands ‚Emotion‘ im Medium ‚Drama‘ soll die rhetorisch fundierte Emotionsanalyse die Diskurskonstanten seit der Antike (1. Verhältnis zum Körper; 2. Emotion als Erlebnis; 3. Wertung und Ziele; 4. Unterscheidung nach Art, Intensität, Dauer; 5. Objektbezug; 6. Verhalten) sowie die kulturellen Differenzkategorien Geschlecht, Klasse, Rasse/Nationalität und Alter berücksichtigen. Die Notwendigkeit dieser Kategorien hat sich bei der Erarbeitung der Definitionen von ‚Emotion‘ und ‚Drama‘ überraschend gezeigt. Unerwartet war auch, dass die eigentlich für die offene Qualität des Kommunikations-Empfängers eingeplante Kognitionstheorie keine sinnvolle Funktion erfüllte und darum als theoretische Grundlage wegfiel. Die Dramenforschung hat sich gerade zum 18. Jahrhundert früh mit emotionsbezogenen Gegenständen (Empfindsamkeit, bürgerliches Trauerspiel) beschäftigt. Bislang fehlte aber ein Brückenglied zwischen diesen Ergebnissen und der aktuellen Emotionsforschung, die sich des Dramas nur vereinzelt, vorrangig im anglo-amerikanischen Raum und vor allem aus der Rezeptionsperspektive annimmt. Diese Lücke schließt die erarbeitete Methode: Systematische emotionsbezogene Textanalysen können den jetzigen Forschungsstand deutlich voranbringen, gerade in Bezug auf vermeintlich gut erforschte Dramen des Kanons. Gleichzeitig werden neue Fragen aufgeworfen: Zu den zentralen Ergebnissen zum 18. Jahrhundert gehört, dass das Verhältnis der Affekte untereinander stärker berücksichtigt werden muss. Dies betrifft sowohl benachbarte Emotionen der Affektfamilie und kausale und zeitliche Abfolgen von Emotionen, die theoretisch nicht explifiziert werden, als auch ihre Darstellung im Drama. Nur handlungsmotivierende Leidenschaften zu benennen, wie bisher in der Dramenforschung üblich ist, erscheint angesichts der Möglichkeiten der neuen Methode unzureichend. Die Emotionsanalyse verändert zudem den Blick auf die emotionsbezogene Gesamtkomposition des Dramas. Der historische Teil zum Verhältnis von Neid und Intrige im kanonischen und populären Drama nach 1750 hat überraschend eine enge Beziehung zwischen Neid und Eifersucht ergeben. Diesen Zusammenhang bildet auch das Drama ab, wobei sich das Geschlecht als die entscheidende Differenzkategorie erweist: Neid ist in der dramatischen Intrige ausschließlich männlich konnotiert. Die gleiche Funktion erfüllt Eifersucht für weibliche Dramenfiguren. Infolgedessen wurde nicht nur zwischen kanonisch-ambitioniertem und populärem Drama nach dem Kriterium der poetischen Gerechtigkeit (Cornelia Mönch) differenziert, sondern auch zwischen männlichen und weiblichen Figuren als Träger und Opfer der Intrige. Im Umfeld der Gottschedschen Theaterreform um 1730 steht die Ehr- bzw. Ruhmsucht in der Tragödie im Mittelpunkt. Die Darstellung von Neid setzt erst um 1750 mit dem Bürgerlichen Trauerspiel bzw. als Oppositionsemotion zu empfindsam konnotierter Figuren wieder ein. Das früheste Beispiel des Dramenkorpus ist Christian Leberecht Martinis Mustapha und Zeangir (1763). Auffällig ist, dass intrigante Figuren empfindsame Verhaltensweisen durchweg diffamieren oder sie als Verstellungsmuster benutzen. Gleichzeitig wirft der neidische Intrigant seinem Konkurrenten in Gegenwart des Machthabers regelmäßig Neid vor. Nach einer spektakulären Phase im Sturm und Drang wird Neid gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu einer poetisch konservativen Handlungsmotivation, während das populäre Drama sich bei zentralen Neid-Topoi des Dramas pragmatisch bedient und sie zwanglos mit Intrigenelementen verbindet.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- "Zärtliche Rollen und zweyte Liebhaberinnen" – Rollenfach und Geschlecht im Drama des 18. Jahrhunderts. In: Der Deutschunterricht 2010/6, S. 88-102
Schonlau, Anja
- Das Rollenfach – Definition, Theorie, Geschichte. In: Diess. (Hgg.): Rollenfach und Drama. Tübingen: Narr 2014 (=Forum Modernes Theater 42), S. 7-30
Schonlau, Anja/Detken, Anke
- Rollenfach und Drama. Tübingen: Narr 2014 (=Forum Modernes Theater 42)
Schonlau, Anja/Detken, Anke (Hgg.)
- Emotionen im Dramentext: Eine methodische Grundlegung mit exemplarischer Analyse zu Neid und Intrige 1750-1800. De Gruyter GmbH & Co KG, 10.10.2017 - 423 S.
Schonlau, Anja