Theologie am Ort der Erwerbsarbeit
Final Report Abstract
Der Erwerbsarbeit nähert sich die akademische Theologie, wenn überhaupt, mit einem dieser Erwerbsarbeit vorgelagerten Arbeitsbegriff und steht dabei in der Gefahr, damit genau das soziale Verhältnis zu verfehlen, unter denen die Erwerbstätigen arbeiten. Wie aber legen Theologinnen und Theologen, die sich unmittelbar am Ort der Erwerbsarbeit engagieren, ihre Erfahrungen mit der Erwerbsarbeit aus? Diese Frage suchte das Forschungsprojekt in zwei Schritten zu beantworten: Zunächst wurden die von Betriebsseelsorgerinnen und -Seelsorgern sowie von als Arbeitnehmer beschäftigten Arbeiterpriestern und -geschwistern eingesandten Dokumente auf die darin entfalteten Theologien hin untersucht, um dann über Experteninterviews mit einigen ausgewählten Autorinnen und Autoren dieser Dokumente, die in ihren Theologien verarbeiteten Erfahrungen, die Art deren theologischer Deutung oder das Selbstverständnis als Theologinnen und Theologen »am Ort der Erwerbsarbeit« aufzuklären. In Auswertung der eingesandten Dokumente wurden fünf Modelle der theologischen Deutung von Erwerbsarbeit erhoben. Diese Modelle unterscheiden sich vor allem hinsichtlich ihrer zentralen bibeltheologischen Motive, die mit den jeweils verwandten theologischen Kategorien sowie den jeweils angesprochenen Themen der Erwerbsarbeit korrespondieren. Auffällig ist, dass in den eingesandten Dokumente - wie erwartet - der Begriff >Arbeit< und - wie nicht erwartet - die präsentische Eschatologie vom Reich Gottes keine, zumindest keine prominente Rolle spielen. Keines der entfalteten Modelle ist hinreichend umfassend, als dass es bereits als eine Theologie der Erwerbsarbeit genommen werden könnte. Jedoch können sie als Bausteine einer solchen Theologie verstanden - und entsprechend zusammengestellt werden. Dass die erhobenen Modelle nicht als unterschiedliche Theologien der Erwerbsarbeit, sondern als »Bausteine« zu einer solchen Theologie vorgestellt werden, wird dadurch bestätigt, dass die Autorinnen und Autoren über ihre verschiedenen Dokumente hinweg und mit Bezug auf die dort jeweils bearbeiteten Themen unterschiedlichen Modellen »folgen« und nur wenige von ihnen auf eines der entfalteten Modelle »festgelegt« waren. Da in fast allen der eingesandten Dokumente ein eher »düsteres« Bild von der Erwerbsarbeit gezeichnet und stark auf das den Arbeitnehmern zugemutete Leid und Unrecht abgehoben wird, empfiehlt es sich, die theologische Integration der differenzierten Modelle bei diesem Leiden und Unrecht einzusetzen. Über die Experteninterviews ließ sich die Erwartung bestätigen, dass die untersuchten Theologien primär von den Erfahrungen bestimmt werden, die die Theologinnen und Theologen an jeweils »ihren» Orten mit Erwerbsarbeit machen. Die eigenen Erfahrungen der Erwerbsarbeit sowie die Erfahrungen der von ihnen begleiteten Artseitnehmer erscheinen als Fragen, auf die ihre Theologien eine Antwort zu geben suchen. Obgleich am Ort der Erwerbsarbeit, zumal an den von den befragten Theologinnen und Theologen bewusst gesuchten Orten an deren Rändern, zumeist die hermeneutischen und pragmatischen Voraussetzungen fehlen, dass ihre Theologien von den dort arbeitenden Menschen verstanden werden könnten, ist Erwerbsarbeit gleichwohl ein Ort theologischer Produktivität: Die an diesen Orten gemachten, typischen Erfahrungen der unter Bedingungen von Erwerbsarbeit tätigen Menschen werden von den dort engagierten Theologinnen und Theologen theologisch gedeutet, von ihnen wird nicht nur ein eigenständiges, dabei vom üblichen Verständnis abweichendes Bild von Erwerbsarbeit gezeichnet, sondern auch deren Widerspruch zu dem im Christentum erhofften Heil von Gott hergezeigt. Um die erhobenen Theologien über ihren originären Ort hinaus, vor allem in Wissenschaft und Kirche einbringen zu können, wird es notwendig sein, die erhobenen Modelle in eine komplexe »Theologie der Erwerbsarbeit« zu integrieren, dabei die von den Theologinnen und Theologen angesprochenen Probleme und Verwerfungen der Erwerbsarbeit in das von daher korrigierte allgemeine Wissen um die Erwerbsarbeit einzubeziehen, die von Gott her erwartete Heilsdynamik zu »vervollständigen« und dazu vor allem die präsentische Eschatologie zu stärken und schließlich die bewusste Ortswahl an die Ränder der Erwerbsarbeit auszuweisen und deren theologische Notwendigkeit einzuholen.