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Motivationale Bedingungen von Krankheitseinsicht bei Schizophrenie

Subject Area Personality Psychology, Clinical and Medical Psychology, Methodology
Term from 2008 to 2014
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 89291474
 
Final Report Year 2014

Final Report Abstract

Das hier beschriebene Gesamtprojekt gliederte sich in das Erst- und Folgeprojekt. Insgesamt wurden 223 Patienten (131+92) mit Schizophrenie-Diagnosen aus verschiedenen Einrichtungen für die Erhebungen befragt. Anhand des Projekts wurden drei Hauptbereiche untersucht. Zum einen ging es um den Beitrag neurokognitiver Determinanten in der Aufklärung der Krankheitseinsicht. Hierbei wurden spezifische kognitive Domänen berücksichtigt und eine multifaktorielle Bedingtheit, d. h. ein limitiertes Erklärungspotential der Neurokognition, zu Grunde gelegt. Diesbezüglich konnte das Modell von Startup (1996), das neben einer neurokognitiv bedingten eingeschränkten Einsicht auch ein eher motivational bedingtes Einsichtsdefizit annimmt, mit der Einschränkung einer nur geringen Varianzaufklärung für den Bereich der Exekutivfunktionen mit dem WCST bestätigt werden. Die Überlegenheit des quadratischen im Vergleich zum linearen Regressionsmodell zeigte sich ausschließlich bei der Nutzung des dynamischen WCSTs. Die Ergebnisse konnten als Beleg für die Überlegenheit dynamischer Testdiagnostik mit dem WCST bei der Prädiktion von Einsicht gelten. Darüber hinaus blieb jedoch eine erklärungsbedürftige Restvarianz, die die Beschränkung des neurokognitiven Modells verdeutlichte und die Notwendigkeit des Einbezugs weiterer Determinanten unterstrich. Bezüglich der Ausdifferenzierung der Subebenen der Einsicht konnte die Abgrenzung der Symptombewusstheit von der Übernahme eines Krankheitsmodells bislang allerdings nicht bestätigt werden. Die Annahme einer rein neurokognitiv bedingten Beeinträchtigung der Symptombewusstheit muss daher deutlich in Zweifel gezogen werden. Der zweite Projektfokus lag auf der Erweiterung des Startup-Modells um „motivationale“ Aspekte. Die von Startup postulierten Subgruppen der Krankheitseinsicht konnten in der angenommenen Konfiguration identifiziert werden. Besonders die Existenz einer (wenngleich zahlenmäßig geringeren) Gruppe mit reduzierter Krankheitseinsicht und intaktem kognitiven Funktionsniveau ließ auf die Möglichkeit motivationaler Bedingungen von Krankheitseinsicht schließen. Für kognitiv unbeeinträchtige Patienten konnte außerdem ein Zusammenhang von Krankheitseinsicht und Defensivität beobachtet werden, was den angenommenen motivational bedingten Mangel an Einsicht weiterhin unterstützte. Die Bedeutung von Stigmatisierung zur Vorhersage von Krankheitseinsicht wurde ebenfalls mehrfach gezeigt. Stigmatisierung konnte hierbei als ein möglicher Aspekt motivational bedingt reduzierter Einsicht verstanden werden. Schließlich wurde der multifaktorielle Ansatz um das Konstrukt Selbstwert ergänzt sowie ein neues schizophreniespezifisches Defensivitätsmaß genutzt, anhand derer die postulierten Gruppen verglichen wurden. Auch in der neuen, im Fortführungsprojekt erhobenen Stichprobe konnten die aus Startup (1996) hergeleiteten Subgruppen identifiziert werden. Neben einer kognitiv intakten, einsichtigen Patientengruppe bestand eine kognitiv beeinträchtigte, moderat einsichtige und die bereits erwähnte kognitiv uneingeschränkte, uneinsichtige Subgruppe. Die Unterschiede zwischen diesen Gruppen bezüglich Offenheit, explizitem Selbstwert und implizitem Selbstwert waren zwar nicht statistisch signifikant, was auf sehr geringe Teststärken zurückzuführen war, die Effektstärken waren aber z. T. hoch. Die defensive Gruppe antwortete erwartungskonform weniger offen und äußerte sich deutlich selbstbewusster als die hoch einsichtige Gruppe. Daher bestätigten unsere clusteranalytisch erzielten Ergebnisse Startup (1996) insofern, als dass nicht für alle uneinsichtigen Probanden zugrunde liegende neurokognitive Defizite anzunehmen sind und lieferten somit Hinweise auf ein selbstwertdienlichen Reaktionsmuster für einen Teil der Patienten. Neben diesen Foki wurden weitere Fragestellungen im Rahmen des Projekts untersucht. Zum einen wurde, angeregt durch die DFG, Compliance einbezogen und ein Fragebogen eigens für dieses Projekt entwickelt. Dieses erwies sich in ersten Analysen als reliabel und valide. Zur Absicherung der Güte dieses Fragebogens sind jedoch weitere Untersuchungen notwendig. Zum zweiten wurde Krankheitseinsicht mit dem aus gesundheitspsychologischer Perspektive relevanten Konstrukt der subjektiven Krankheitskonzepte verbunden. Hierbei wurde auf ein im deutschsprachigen Raum neues Instrument, dem IPQS, zurückgegriffen. Es zeigte sich in der Erstanwendung zwar, dass Modifikationen notwendig waren, dennoch wiesen die Zusammenhänge vor allem mit Krankheitseinsicht, aber auch mit Coping und Compliance, auf die Bedeutung dieses Ansatzes auch für die Untersuchung von Aspekten der Krankheitseinsicht bei Schizophrenie-Patienten hin. Die differentiellen Zusammenhänge mit Einsicht lieferten z. T. Validitätsbelege, zeigten aber auch die Notwendigkeit einer weiteren Binnendifferenzierung des komplexen Konstrukts der Einsicht bei Schizophrenie auf. Dies dürfte auch im Hinblick auf dessen Zusammenhänge mit klinisch relevanten Außenkriterien bedeutsam sein. Insgesamt erscheint ein multifaktorieller Ansatz zur Erklärung der Krankheitseinsicht bei Patienten mit Schizophrenie-Diagnosen weiterhin ein sehr verfolgenswerter Ansatz. In unserem Projekt konnten viele Hinweise für deren Gültigkeit gefunden werden, welche mit bedeutsamen Implikationen für die Behandlung dieser Patientengruppe in Zusammenhang stehen. Gleichzeitig muss die eingeschränkte Varianzaufklärung als Anlass zur weiteren Ausdifferenzierung und Erweiterung bisheriger Erklärungsmodelle geben.

Publications

  • (2009). On the concordance of three reliable change indexes: An analysis applying the dynamic Wisconsin Card Sorting Test Journal of Cognitive Education and Psychology 8(1), 63-81
    Waldorf, M.. Wiedl, K. H. & Schöttke, H.
  • (2010). Können Patienten ein kognitives Konzept einer Erkrankung haben, die sie verneinen? Krankheitskonzepte und -einsicht bei Schizophrenie [Abstract], Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 39 (SuppI. 1), 34
    Pruß, L., Lüllmann, E., Lincoln, T., Wiedl, K. H. & Waldorf, M.
  • (2010). „Das dauert nicht lange ... das hab ich im Griff: Krankheitskonzepte, -einsicht und Coping bei Schizophrenie. In F. Petermann & U. Koglin (Hrsg.), Erklären - entscheiden - planen. 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Abstracts (S. 39-40). Lengerich: Pabst
    Pruß, L., Wiedl, K. H., Lüllmann, E., Lincoln, T. & Waldorf, M.
  • (2011). Gesundheitsverhalten und -kognitionen von Menschen mit Schizophrenie-Diagnosen [Abstract]. In Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hrsg.), Gesundheit im sozialen Wandel. Sonderausgabe des Informationsdienstes Altersfragen. Kongressprogramm und Abstracts des 10. Kongresses für Gesundheitspsychologie (31.08.-02.09.2011 in Berlin) (S. 123). Berlin: Fatamorgana
    Waldorf, M., Pruß, L., Mauentöbben, T., Schöttke, H. & Wiedl. K. H.
  • (2011). Subjektive Krankheitskonzepte und Krankheitsverhalten bei Patienten mit Schizophrenie-Diagnosen: Eine Anwendung des deutschen Illness Perception Questionnaire for Schizophrenia [Abstract], Verhaltenstherapie, 27(Suppl. 1), S. 11
    Waldorf, M., Pruß, L., Lüllmann, E., Schöttke, H. & Wiedl, K. H.
  • (2011). »Irgendwas hab' ich, aber was nur?« Subjektive Krankheitskonzepte bei Schizophrenie [Abstract]. In Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hrsg.), Gesundheit im sozialen Wandel. Sonderausgabe des Informationsdienstes Altersfragen. Kongressprogramm und Abstracts des 10. Kongresses für Gesundheitspsychologie (31.08.- 02.09.2011 in Berlin) (S. 146). Berlin: Fatamorgana
    Pruß, L., Wiedl, K. H., Schöttke, H. & Waldorf. M.
  • (2012). Stigma as a Predictor of Insight in Schizophrenia. Psychiatry Research, 198, 187-193
    Pruß, L., Waldorf, M. & Wiedl, K. H.
    (See online at https://doi.org/10.1016/j.psychres.2011.12.012)
  • (2012). „Bin ich krank, bin ich wertlos?" Krankheitseinsicht, Offenheit und Selbstwert von Menschen mit Schizophrenie-Diagnosen. In R. Riemann (Hrsg.), 48. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Supplement to Psychological Test and Assessment Modeling (S. 454-455). Lengerich: Pabst
    Pruß, L., Wiedl. K. H. & Waldorf, M.
 
 

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