Das Projekt befasste sich mit den Prozessen der Aufarbeitung von und Entschädigung für historische Programme der unfreiwilligen Sterilisation in Tschechien, Norwegen und der Bundesrepublik Deutschland. Im Zentrum stand die Frage, inwieweit ein gesellschaftlicher Reflexionsprozess über die politischen, institutionellen und kulturellen Möglichkeitsbedingungen der Sterilisationspolitiken stattgefunden hat und unter welchen Bedingungen sich demokratische Gesellschaften von den Implikationen des den Politiken der unfreiwilligen Sterilisation unterliegenden modernistischen, biopolitischen Rationalitätsverständnisses kritisch distanzieren und welche zivilgesellschaftlichen und politischen Dynamiken eine solche Auseinandersetzung befördern oder behindern. Untersucht wurden Prozesse des Framings und der Problematisierung sowie deren Effekte auf die Entwicklung der Auseinandersetzung, die Interpretation von Unrecht, die Kategorisierung der Opfer und die Suche nach und Entwicklung von Reparationsregelungen. Ein wesentliches Ergebnis der Analyse und des Vergleichs der drei Fälle ist, dass die Interpretation des Unrechts und die Identifikation der Opfer, d.h. die Objekte der Policy Debatten um historische Gerechtigkeit keine objektiven und stringenten Fakten darstellen sondern vielmehr Objekte und Resultate von konfliktreichen Deutungskämpfen sind. In den hier untersuchten Fällen waren insbesondere zwei Frames dominant: zum einen der Frame "Diskriminierung von Gruppen" und zum anderen der Frame "individueller Gesetzesbruch", innerhalb derer die Problematisierung der unfreiwilligen Sterilisation als Unrecht nur dann möglich war, wenn es entweder als rassistisch-selektive Praxis interpretiert wurde, die bestimmte Personen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe betraf, oder wenn die Opfer glaubhaft machen konnten, dass ihre Sterilisierung den gesetzlichen Regelungen widersprochen hat. Beide Frames schließen große Teile der unfreiwillig sterilisierten Personen aus Entschädigungsregelungen aus und verlängern im Zweifel sogar noch deren Stigmatisierung und Marginalisierung: nämlich diejenigen, die sich nicht auf eine Gruppenzugehörigkeit berufen können oder wollen sowie diejenigen, deren Sterilisierung nach den jeweiligen Gesetzen legal gewesen sind. Die den Politiken der unfreiwilligen Sterilisation unterliegende biopolitische Rationalität des Management und der Verbesserung der Zusammensetzung, der Gesundheit und Produktivität der Bevölkerung, die inhärent einer Logik der Klassifizierung und Kategorisierung sowie der Setzung bestimmter Richtmaße und der Markierung von Norm und Abweichungen folgt, kann in Begriffen der "Gruppendiskriminierung" und des "individuellen Gesetzesbruchs" nicht Gegenstand der Auseinandersetzung werden. Vielmehr wird die Praxis der unfreiwilligen Sterilisation inhärent sogar bestätigt, wenn nur (rassistische oder individuelle) Abweichungen von der legalen Praxis problematisierbar sind.