SFB 621: Pathobiologie der intestinalen Mukosa
Agrar-, Forstwissenschaften und Tiermedizin
Biologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der Darm ist der Besiedlungsort von kommensalen und fakultativ pathogenen Keimen, deren Anwesenheit für die Aufrechterhaltung der physiologischen Aufgaben des Darms von entscheidender Bedeutung ist. Gleichzeitig stellt er eine effektive Barriere dar, die das Eindringen pathogener Erreger verhindert. Eine wichtige Funktion nimmt die intestinale Mukosa auch bei Aufrechterhaltung der immunologischen Toleranz ein, die sicherstellt, dass keine entzündlichen Immunreaktionen gegen Nahrungsbestandteile oder die normale Darmflora induziert werden. Werden diese toleranz-induzierenden Mechanismen durchbrochen, kommt es zur Entwicklung von Autoimmunerkrankungen, die sich etwa in Form von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen manifestieren. Bleiben hingegen adäquate immunologische Reaktionen auf Pathogene oder Toxine aus oder sind die Besiedlungsbedingungen der Keime an der Mukosa verändert, können daraus chronische Infektionen mit den einhergehenden Resorptions- und Sekretionsstörungen resultieren. Die Aufrechterhaltung der normalen Darmfunktion hängt somit von der komplexen Regulation der verschiedenen Zellen des Darms ab. Ziel dieses Sonderforschungsbereichs war es, die Ursachen aufzuklären, die zu Störungen des balancierten Gleichgewichts der physiologischen Funktionen des Darms führen und somit ursächlich an der Entstehung von Erkrankungen dieses Organs beteiligt sind. Mit dieser Thematik trug der SFB 621 in essentieller Weise zu einem von drei Schwerpunkten (Infektions- und Immunitätsforschung) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) bei, und ist zudem von erheblicher Bedeutung für die während der drei Förderphasen durchgeführte thematischen Neuausrichtungen des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Mit den drei im SFB 621 bearbeiteten Schwerpunkten (Mukosales Immunsystem; Mikrobielle Interaktionen; Pathophysiologie) gelang es dem SFB 621 in geradezu paradigmatischer Weise, verschiedene Forschungsgebiete wie Immunologie, Virologie, Mikrobiologie, Pathologie, Physiologie, Genetik und Experimentelle Tierversuchkunde thematisch und experimentell miteinander zu verbinden. Dies wurde möglich, da im SFB 621 verschiedene Aspekte zur Physiologie und Pathobiologie der Mukosa des Darmes unter verschiedenen Gesichtspunkten, aber dennoch komplementär untersucht wurden. Im Projektbereich A, Mukosales Immunsystem, haben wir eine Reihe zellulärer und molekularer Grundlagen aufgeklärt, auf denen die immunologischen Prozesse im Darms basieren und haben analysiert, wie deren Fehlsteuerung zu Autoimmun- und Infektionskrankheiten führt. Hierbei wurden die molekularen Mechanismen untersucht, welche die Wanderung von Zellen in die Lamina propria des Darmes und die Darm-assoziierten lymphatischen Organe regulieren. So konnte der Chemokinrezeptor CCR9 als ein zentrales Homingmolekül identifiziert werden, welches plasmazytoide dendritische Zellen (pDCs) und Plasmazellen in die Lamina propria des Darmes dirigiert und dort wesentlich zur Aufrechterhaltung der Immunität und Toleranz beiträgt. Durch die Erkenntnis, dass Retinsäure (RA) ein treibender Faktor zur Induktion der Darmhomingmoleküle darstellt, stehen neue Impfstrategien zur Verfügung, um auch nach systemischer Applikation von Impfstoffen eine Immunität im Darm zu induzieren. Weiterhin wurden grundsätzlich neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie das Zusammenspiel von migrierenden dendritischen Zellen (DCs), plasmazytoiden DCs (pDCs) und gewebeständigen Makrophagen zur Induktion von oraler Toleranz führt. Neben der Bedeutung des Chemokinrezeptors CCR7 für die Zellmigration wurden hier neue Konzepte zur Expansion und Stabilisierung von regulatorischen T Zellen (Tregs) entschlüsselt. Weiterhin konnte aufgeklärt werden, welche B-Zellsubpopulationen zur Immunität im Darm beitragen. Im SFB 621 konnten auch grundlegend neue Erkenntnisse bezüglich der Bedeutung verschiedener Komponenten des angeborenen Immunsystems wie Defensine oder yS T Zellen für das Immunssystem des Darmes gewonnen werden. Hier zeigte sich, dass anti-mikrobielle Peptide zum einen altersabhängig exprimiert werden und selbst einen starken Einfluss auf die postnatale bakterielle Besiedlung haben. Wichtige Erkenntnisse zum besseren Verständnis der Pathogenese der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) konnten mit Hilfe von konditionalen Interleukin-10 und IL10R-defizienten Mäusen gewonnen werden. Mit der während der letzten Förderperiode im SFB 621 etablierten Methode des „deep sequencing" konnten erstmal Repertoir-Analysen von Antigenrezeptoren durchgeführt werden, die grundsätzliche Fragen zur Entwicklung der humoralen (Immunglobuline) und zellulären (yS T-Zellen) mukosalen Immunantwort im Verlaufe der Kolonisierung mit Kommensalen und Pathogenen beantworten. Im Projektbereich B, Mikrobielle Interaktionen, wurde aufgeklärt, wie die Interaktion von Erregern mit dem Darmepithel reguliert ist und welche Auswirkungen dies auf pathobiologische Prozesse des Darms hat. Die hier angesiedelten Teilprojekte untersuchen die Mechanismen der Pathogenität der human- oder tierpathogenen Krankheitserreger wie Clostridium difficile, Yersinia pseudotuberculosis, Helicobacter hepaticus und transmissibles Gastroenteritis-Virus des Schweins (TGEV). Allen Teilprojekten des Bereichs B war gemeinsam, dass mikrobielle Eigenschaften auf molekularer Ebene charakterisiert wurden, die an der Etablierung der Infektion (z.B. Adhärenz und Internalisierung), der Überwindung der Epithelbarriere, der Ausbreitung im Wirtsorganismus und/oder der Auseinandersetzung mit adaptivem und angeborenem Immunsystem beteiligt sind. Hierdurch ergaben sich intensive Verbindungen zu den Projektbereichen A und C. Weiterhin wurden probiotische Effekte von Escherichia coli Nissle 1917 aufgeklärt und das Bakterium sequenziert. Pathogenitätsmechanismen bakterieller Toxine konnten nachgewiesen werden und Pathogenitätsinseln von Helicobacter hepaticus identifiziert werden, welche für Typ IV und wahrscheinlich Typ VI Sekretionssysteme kodieren und wesentlich zur H. hepaticus-vermittelten Darmpathogenität beitragen. Weiterhin wurden bei Yersinia pseudotuberculosis drei neue Adhäsions- und Invasionsfaktoren (InvB, InvC, InvD), sowie das CNFY Toxin, das starke proinflammatorische Reaktion hervorruft, als neue Faktoren identifiziert, die bei der Dissemination des Pathogens eine wichtige Rolle spielen. Im Projektbereich C, Pathophysiologie, wurden schließlich die komplexen, die physiologische Funktion sicherstellenden Regelmechanismen des Stofftransports im Darmepithel studiert, und es wurde aufgeklärt, wie sich deren Störungen auf die Entstehung und Manifestation von Erkrankungen des Darms auswirken. Neben der Charakterisierung der ursächlichen Defekte und der daraus folgenden Störungen wurden auch komplexe Interaktionen aufgeklärt, die zu den charakteristischen klinischen Bildern führten. Hierzu wurden genetische und biochemische Ansätze mit der Analyse von Tiermodellen oder ex vivo-üntersuchungen von Transportfunktionen kombiniert. So konnten die molekularen Ursachen seltener monogener Immundefekterkrankungen aufgeklärt werden, die mit IL10-Rezeptor- oder IL-21-Rezeptor-Dysfunktionen einhergehen und sich klinisch in schweren CED manifestieren. Ebenso konnten zahlreiche Polymorphismen der UDP-Glukuronosyltransferasen (UGT1A) identifiziert werden, wobei einige Haplotypen mit einem erhöhten Risiko für CED und Nebenwirkungen der Chemotherapie metastasierter kolorektaler Karzinome assoziiert sind. Weiterhin konnten wichtigste genetische Modulatoren analysiert werden, die bei der Mukoviszidose, der häufigsten schweren monogenen Erkrankung in Deutschland, die Schwere des klinischen Verlaufs im Gastrointestinaltrakt beeinflussen. Zudem wurden Genvarianten gefunden, die Wirtsabwehr und Entzündung steuern und somit die Ausprägung des Basisdefekts der Mukoviszidose modulieren. Neben Elementen der mukosalen Immunität wurden in erster Linie das CFTR-Netzwerk (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator-Netzwek) und apikale Ionenkanäle untersucht, da bei der am häufigsten auftretenden Mutation, die Mukoviszidose auslöst, die posttranslationale Reifung und der intrazelluläre Transport gestört sind. Neben CFTR wurden im SFB auch die zugrundeliegenden Mechanismen von Malabsorptionssyndromen wie der Hypolaktasie oder der Saccharase-Isomaltase-Defizienz aufgeklärt. Der CFTR-Chloridkanal wird über die PDZ-Adapter der NHERF-Familie in ein Netzwerk von Regulatoren, Transportern und Ionenkanälen eingebunden, deren Funktionen im Rahmen dieses SFB ebenfalls aufgeklärt wurden.
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