Die Untersuchung hat erstmals ein differenziertes Bild der gegen die Juden gerichteten Verfolgungsapparate in Belgien unter deutscher Besatzung in den Jahren 1940-1944 erbracht. Folgende Schlüsselergebnisse lassen sich festhalten: Die Mehrzahl der aus Belgien deportierten Juden wurde nicht in großen Festnahmeaktionen, sondern einzeln oder in kleinen Gruppen verhaftet. Der gegen die Juden gerichtete Verfolgungsapparat war stark arbeitsteilig organisiert. Dienststellen der Wehrmacht und der Reichsfinanzverwaltung wirkten bei der Verhaftung der Juden mit; ohne ihre Beteiligung wäre die Zahl der Opfer niedriger gewesen. Allerdings stand die Instanzen von Sipo-SD in quantitativer Hinsicht deutlich an erster Stelle. Die Mitwirkung der regulären belgischen Polizei blieb bei den Einzelverhaftungen marginal. Die Sipo-SD war auf informelle Gehilfen − darunter eine Anzahl Juden − und Kollaborateure angewiesen, ohne deren Mitwirkung der deutsche Polizeiapparat weniger Juden verhaftet hätte. Da diese Helfershelfer keine exekutiven Befugnisse innehatten, ist fraglich, ob es in ihrem Fall zu einer tatsächlichen Arbeitsteilung und Machtdifferenzierung kam. Für die Mitwirkung der nichtjüdischen Zuträger spielten sowohl ideologische als auch materielle Motive eine Rolle; präzise Feststellungen oder Gewichtungen hinsichtlich der Beweggründe dieser Helfershelfer lässt die Quellenlage nicht zu. Die vorliegende Forschung geht davon aus, dass aus Antwerpen ein viel größerer Anteil der jüdischen Bevölkerung deportiert wurde als aus Brüssel. Wie unsere Untersuchung zeigt, ist diese Annahme überprüfungsbedürftig, da der Anteil der Brüsseler Juden in den Deportationszügen ab Herbst 1942 zunahm und diese zumindest in manchen Transporten der Jahre 1943 und 1944 die übergroße Mehrheit stellten. Von uns neu aufgefundene Quellen belegen erstmals, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen den individuellen Überlebensstrategien der Juden und den Handlungsstrategien der Sipo-SD sowie der Ausgestaltung der Verfolgungsapparate bestand. Im Rahmen der Untersuchung wurden zum ersten Mal systematisch die Rettungsanstrengungen derjenigen Juden aufgearbeitet, die schließlich doch verhaftet, deportiert und ermordet wurden und von denen die Deutschen jede Spur auslöschen wollten.