Metall-Legierungen mit der Fähigkeit, eine mechanisch aufgeprägte Verformung unter Temperaturerhöhung in den Ursprungszustand zurückzustellen, nennt man Formgedächtnislegierungen (FGL). Der Formgedächtnis-Effekt wird durch fest-fest Phasenübergänge der metallischen Kristallgitter verursacht. Diese Phasenübergänge treten zwischen den zwei generischen Gitterstrukturen Austenit und Martensit auf, welche unterscheidbare Feststoff-Phasen darstellen, deren Stabilität sowohl von Belastungszuständen, als auch von der Temperatur abhängt. Der Übergang zwischen diesen Kristallstrukturen werden allgemein martensitische Transformationen genannt. Es handelt sich um diffusionslose Umstrukturierungen, die die atomare Nahordnung erhalten. Austenit ist bei hoher Temperatur und kleiner Last stabil, während Martensit bei niedriger Temperatur und/oder bei großer Last stabil ist. Martensit liegt in verschiedenen Varianten vor, welche geometrisch kongruent und energetisch äquivalent sind. Der Austenit-Martensit Phasenübergang wird durch Temperaturwechsel (Temperatur-induzierter Übergang) oder durch mechanische Belastung (last-induzierter Übergang) ausgelöst. Im Laborexperiment zeigen die Prozessdiagramme charakteristische Hysteresen, die auf Prozess-Irreversibilitäten hinweisen. Mikroskopische Befunde zeigen, dass unter martensitischen Transformationen Makrostrukturen erzeugt werden. Charakteristisch ist die Ausbildung von Domänen, welche aus regelmäßig gefalteten („verzwillingten") Martensitplatten bestehen. Das Ziel des Projekts bestand in einer Modellstudie dieser Transformationen auf der atomistischen Längen- und Zeitskala. Die verwendete Methode der atom- oder molekulardynamischen Simulation ist dabei in der Lage, den Mechanismus der Phasentransformationen zwischen Austenit und Martensit dynamisch nachzustellen und dabei die treibenden physikalischen Kräfte zu analysieren. Es handelt sich dabei um ein numerisches Verfahren zur Berechnung der klassischen Bewegungsgleichungen der Atome in endlichen Kristallen. Dabei kommt der Modellierung der atomaren Wechselwirkungskräfte die wichtigste Bedeutung zu. Trotz wesentlicher Fortschritte auf dem Gebiet der Potentialmodellierung in den vergangenen Jahrzehnten gibt es bis heute keine Modellpotentiale, welche alle Eigenschaften von FGL qualitativ und quantitativ zufriedenstellend abdecken. Stets müssen Kompromisse bei der Anpassen der Potentiale eingegangenen werden. Ein weiteres Problem realistische, drei-dimensionale Modelle besteht in ihrer atomaren Größe. Diese Arbeit vermeidet Probleme dieser Art, in dem sie a priori ein künstliches Modellsystem betrachtet. Es hat sich herausgestellt, dass das verwendete Modellsystem trotz seiner konzeptionellen Vereinfachungen die wesentlichen Merkmale der martensitischen Transformationen qualitativ abbilden karm. Das Projekt verfolgte damit das Ziel einer Prinzipstudie, in der die den martensitischen Transformationen auf der atomaren Skala zugrundeliegenden physikalische Mechanismen untersucht wurden. Das verwendete Modell basiert auf Lennard-Jones (L-J) Wechselwirkungen in zwei Raumdiraensionen. Dazu werden die Paar-Potentiale in binären Legierungen so an gepasst, dass Transformationen in Simulations-Experimenten beobachtet werden können. Unter Berücksichtigung von zwei Atomsorten A und B können stabile Kristallgitter konstruiert werden. Die Wechselwirkungsparameter können so identifiziert werden, dass temperaturabhängige Gittertransformationen in MD Simulationen abgebildet werden können. Austenit, im 2D Modell durch quadratische, ineinander gestellte Komponentengitter repräsentiert, ist stabil bei hoher Temperatur. Durch eine shear/shuffle Transformation kann der Modell-Austenit in Varianten von Modell-Martensit transformieren, welche bei kleiner Temperatur stabil sind. Der Modell-Martensit hat eine hexagonale Struktur. Ähnlich dem 3D Fall kommt es auch in 2D zur Ausprägung von Martensitvarianten, die durch die Scherrichtung und die Verschiebungsrichtung der Komponentengitter relativ zueinander definiert sind. Im 2D Modell können vier prinzipielle Varianten von Martensit unterschieden werden. Die Gitterstabilität hängt von der Temperatur und von Lastzuständen ab. Basierend auf diesem Modell wurden Simulationsstudien in Testkörpern von einigen hunderttausend Atomen unter den folgenden Fragestellungen untersucht: 1. Untersuchung des Modellmaterials in isothermen Zugversuche (last- und deformationskontrolliert); 2. Untersuchung der martensitischen Umwandlung in den Modellkörpern im Hinblick auf die Entstehung martensitische Mikrostruktur; 3. Einstellung des thermodynamische Gleichgewichts; 4. Einfluss der Mikrostruktur auf das Transformationsverhalten hinsichtlich der Hysteresenbildung. Die Simulationsexperimente zeigen die dynamischen Abläufe der Ausbildung einer charakteristischen Mikrostruktur detaiUiert. Wir beobachten die Nukleation und das Wachs tum keilförmiger Martensit domänen, welche eine charakteristische Zwillingsstruktur aufweisen. Diese Wachstumsprozesse führen auf der mesoskopischen Längenskala zur Ausbildung ausgeprägter Domänstrukturen die durch signifikante Domängrenzen separiert werden. Hier werden Gitterdefekte generiert, welche teilweise durch Versetzungsbewegungen mobilisiert werden können oder immobil im Gitter verbleiben. Solche Defekte können selbst unter temperatur- oder lastinduzierter Rücktransformation erhalten bleiben. Es zeigt sich, dass solche Defektresiduen als Nukleationszentren in nachfolgenden Transformationen dienen und akkumulieren können. In zyklischen Transformationsprozessen wird auf diese Weise eine permanente Defekt-Mikrostruktur erzeugt, welche ein „Morphologie- Gedächtnis"auf der mikrostrukturellen Längenskala repräsentiert. Da Gitterdefekte stets eine potentielle Exzessenergie tragen, bewirkt eine solche Defekt akkumulation andererseits auch eine irreversible Veränderung der Energie eines gegebenen Kristalls. Auf diese Weise wird auch das thermodynamische Phasengleichgewicht verändert und mit der Transformationsgeschichte eines gegebenen Testkörpers in Beziehung gesetzt. Die Methode der molekulardynamischen Simulation erfordert beträchtliche Rechnerkapazitäten. Die hier dargestellten Simulationsexperimente konnten nur auf spezialisierten Parallelrechnern abgebildet werden. Dank der konzeptionellen Modellannahmen konnten die Rechenzeitressourcen besonders effektiv eingesetzt werden. Hier Spielte die Beschränkung auf zwei Raumdimensionen die wichtigste Rolle. Sie ermöglichte eine Betrachtung sowohl zugunsten der simulierten Zeitskalen, deren Behandlung für dreidimensionale Modelle außerhalb der verfügbaren Mittel läge, als auch zugunsten der Bandbreite der simulierten thermo-mechanischen Prozesse.