Ausgangspunkt unserer Studie war die Beobachtung, dass Patienten mit Aphasie oft auch in ihrer gestischen Kommunikation beeinträchtigt sind. Ein Ziel der Studie war die Entwicklung eines Instrumentariums, um die kommunikative Effizienz von Gesten unabhängig von begleitender Sprache und unabhängig von Vorwissen über den vermutlichen semantischen Gehalt der Gesten zu messen. Grundlage dafür war eine Transkription der Gesten mittels des Hamburger Notationssystems für Gebärdensprachen (HamNoSys). Mit einem neu entwickelten Computerprogramm (HamNoChart) konnten die Transkriptionen eingegeben und für die statistische Analyse ihrer Diversität aufbereitet werden. Diese Messgröße erwies sich als reliabel und valide. Sie wurde angewandt, um die bei Nacherzählungen von kurzen Filmsequenzen produzierten Gesten zwischen Aphasikern und Normalsprechern zu vergleichen, und um den Zusammenhang zwischen beeinträchtigter Gestenproduktion und anderen Symptomen der Hirnschädigung zu erforschen. Zentrale Fragen für das Forschungsprojekt waren, ob die beeinträchtigte Produktion kommunikativer Gesten bei Patienten mit Aphasie eine direkte Folge der Sprachstörung ist oder eine von der Aphasie unabhängige Folge der linkshirnigen Läsion, deren Ausprägung mit der Schwere anderer nicht sprachlicher Folgen linkshirniger Läsionen korreliert. Von besonderem Interesse war dabei das Verhältnis der spontanen Gestenproduktion zur Produktion kommunikativer Gesten auf Aufforderung, wie sie in der Apraxieprüfung gefordert wird. Unsere Ergebnisse lieferten sehr klare Aussagen dazu: Die Diversität und kommunikative Effizienz der Gesten aphasischer Patienten korrelierten eng mit der Produktion kommunikativer Gesten in der Apraxieprüfung sowie mit einer semantischen Sortieraufgabe, aber nicht mit neurolinguistischen Parametern der Aphasie. Sowohl Apraxie als auch gestörtes semantisches Sortieren sind Symptome linkshirniger Schädigungen. Wir schließen daher, dass ungenügende kommunikative Gestik nicht direkte Folge der Sprachstörung sondern vielmehr ein weiteres nicht sprachliches Symptom der linkshirnigen Läsion ist. Die Ergebnisse der Studie können klinisch verwertet werden. Die Korrelationen der Pantomime des Objektgebrauchs und des semantischen Sortierens zur kommunikativen Effizienz von Gesten erlauben Vorhersagen der Leichtigkeit, mit der die betroffenen Patienten eine gestische Kompensation des reduzierten sprachlichen Ausdrucks entwickeln können. Daraus lässt sich ableiten, ob es sinnvoll ist, mit dem Patienten den Einsatz von Gesten zu üben oder ob sich die Therapie besser auf andere, mehr Erfolg versprechende, Kompensationsmittel konzentrieren sollte. Die Erfahrungen des Projekts flossen bereits in eine Nachfolgestudie ein, die mit Unterstützung der DFG vor kurzem angelaufen ist (Projekt „Kognitive und neuronale Grundlagen sprachersetzender Gestik“). Insbesondere die in diesem neuen Projekt strikt durchgehaltene Unterscheidung zwischen sprachbegleitenden und sprachersetzenden Gesten, die Auswertung der Länge von Gestensequenzen als weiteres mögliches strukturelles Merkmal der kommunikativen Effizienz von Gesten, der Ausschluss von Batons aus der HamNoSys-Auswertung, und der – in der abgeschlossenen Studie missglückte – Einschluss von Patienten mit rechtshirnigen Läsionen sind Neuerungen, die aus den Erfahrungen dieses Projekts abgeleitet wurden. Außerdem umfasst die Nachfolgestudie eine entwicklungspsychologische Studie der Fähigkeit sprachersetzende Gesten einzusetzen.