Die nukleophilen bimolekularen Reaktionen (SN2-Reaktion) Cl- + CH3Cl → ClCH3 + Cl- und Cl- + CH3Br → ClCH3 + Br- in der Gasphase wurden mit quantenmechanischen, zeitunabhängigen Quantenstreurechnungen im Rahmen zweier dimensionsreduzierter Modelle detailliert untersucht. Das erste, in C3v-Symmetrie exakte Modell legt eine lineare X-C-Y-Achse zugrunde und bezieht in 4D-Rechungen die symmetrische Schirmschwingung und die totalsymmetrische C-H-Streckschwingung ein; Potentialhyperflächen basierend auf Elektronenstrukturrechnungen hoher Qualität (Coupled Cluster) wurden verwendet. Die berechneten Reaktionswahrscheinlichkeiten und -querschnitte liefern zum Teil intuitiv erwartete, zum Teil aber auch überraschende Ergebnisse. So konnte nicht nur die Abhängigkeit der Reaktionswahrscheinlichkeit von Anregungen spezifischer Reaktantenmoden im Detail analysiert werden, sondern auch ein synergischer Effekt identifiziert werden, wenn Schirmschwingung und Streckschwingung der gebrochenen Bindung simultan angeregt werden. Eine Überlagerung dieser beiden Bewegungen entspricht im klassischen Bild der Reaktionskoordinate. Für die üblicherweise als träge Zuschauermode angesehene symmetrische C-H-Streckschwingung ergab sich ein unerwartet starker Einfluss auf die Reaktion, der durch die Ankopplung insbesondere an die Schirmschwingung erklärt werden kann. Mit dem zweiten Modell, das eine lokale Symmetrie der Methylgruppe und drei verschiedenen Bereiche für die Streukoordinate (Wechselwirkungs-, Übergangs- und asymptotische Region) verwendet, wird erstmalig explizit die Rotation der Methylhalogenide im Reaktanten – und Produktkanal für Cl- + CH3Br untersucht. Obwohl in Übereinstimmung mit einfachen klassisch-mechanischen Argumenten und Trajektorien-Rechnungen anfänglich vorhandene Rotationsenergie in den CH3Br-Molekülen die Reaktionswahrscheinlichkeit senkt, führen die dynamische Inklusion des Rotationsfreiheitsgrades und die Präsenz vieler Rotations-Produktzustände insgesamt zu einer starken Zunahme der Reaktivität verglichen mit den Ergebnissen für die kollineare Reaktion. Eine detaillierte Analyse der Produktverteilungen in Verbindung mit den Reaktionswahrscheinlichkeiten zeigt eine weitgehende Unabhängigkeit von der Translationsenergie aufgrund der Exothermizität, die Bedeutung des zentralen Stoßweges, der jedoch stark vom Rotationsfreiheitsgrad beeinflusst wird, und den Einfluss der anfänglichen Rotationsanregung bis zu einer Schwelle, oberhalb derer die Reaktion Anzeichen einer Gedächtnislosigkeit zeigt, d. h. dass viele untersuchte Größen in Levels mit und ohne anfängliche Rotationsanregung gruppiert sind. Die integralen Reaktionsquerschnitte steigen steil an, sobald sich der Kanal energetisch öffnet, und fallen dann ab. Für sehr hohe Rotationsanregung wachsen die Reaktionsquerschnitte viel langsamer und weisen flache Maxima auf. Die thermische Geschwindigkeitskonstante für die Reaktion bei 300 K wird innerhalb der experimentellen Fehler reproduziert, was maßgeblich auf die Berücksichtigung der niederfrequenten, bereits bei niedrigen Temperaturen hinreichend populierten entarteten Knickschwingung im Übergangszustand zurückzuführen ist. Auch der experimentell bekannte, starke Anstieg der Reaktionsgeschwindigkeit für kleine Temperaturen wird reproduziert. Die differentiellen Reaktionsquerschnitte sind für Reaktanten-Moleküle mit hohen anfänglichen Rotationsquantenzahlen fast isotrop. Eine Nahseite/Fernseite-Analyse ergab, dass die Struktur der differentiellen Querschnitte in Gasphasen-SN2-Reaktionen bei höheren Gesamtenergien hauptsächlich auf den Beitrag der Nahseiten-Streuung zurückzuführen ist, was darauf hindeutet, dass es sich um einen direkten Mechanismus handelt, bei dem das angreifende Ion direkt den von der Methylgruppe gebildeten offenen Kegel angreift. Der indirekte Mechanismus andererseits umfasst zunächst eine Komplexbildung und erst danach die zeitversetzte Dissoziation in die Produkte, nachdem eine Rotationsbewegung ausgeführt worden ist.