In den historischen Perioden liefern das Studium der textlichen und der materiellen Hinterlassenschaften oft widersprüchliche Informationen. Die daraus entstehenden Konflikte in unserem Verständnis der historischen Abläufe sind typischerweise schwer aufzulösen. Bei der Interpretation der archäologischen Befunde kann das zu schwer erkennbaren Problemen führen. Die Forschungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, daß die zeitliche Einordnung von Hinterlassenschaften der hethitischen Kultur (einer spätbronzezeitlichen Zivilisation Anatoliens), innerhalb des 2. Jahrtausends v. Chr. gravierende Verzerrungen dieser Art aufweist. Eine wichtige Stellung kommt hierbei Befunden aus der hethitischen Hauptstadt Boðazköy-Hattuša zu, die vom Deutschen Archäologischen Institut erforscht wird. Dieses Projekt hat versucht, unsere Kenntnis hethitischer Keramik (einem wichtigen archäologischen Datierungswerkzeug) auf eine neue Grundlage zu stellen. Hierzu wurden insgesamt zwölf neu ergrabene und sicher bestimmten Zeitspannen zuzuordnende Keramikkomplexe aus Boðazköy untersucht. Die Datierung dieser Komplexe erfolgte mit Hilfe einer Serie hochpräziser Radiokarbondaten. Für Boðazköy gibt es nun eine lange 14C- Sequenz, die vom Ende des 3. Jahrtausends v.Chr bis zum Zusammenbruch des hethitischen Reichs ca. 1200 v. Chr. und darüber hinaus reicht. Da es sich bei hethitischer Keramik zum Großteil um Produkte aus Massenproduktion handelt, konnte sich die Studie nicht auf die Untersuchung von Veränderungen an einzelnen Formen beschränken. Es zeigte sich schnell, daß sich vor allem die Zusammensetzung der Inventare mit der Zeit ändert. Daher mußte die Keramik aus diesen gut datierten Kontexten vollquantitativ erfaßt und statistisch ausgewertet werden. Es wurde eine Datenbank mit über 10.000 Datensätzen signifikanter Scherben und zahlreichen chronologisch empfindlichen Parametern erstellt. Es gibt bisher keinen anderen vergleichbar umfangreichen und chronologisch breit gefächerten Datensatz aus dem hethistischen Kulturgebiet. Mit Hilfe dieser Ergebnisse können nun auch andere Zusammenhänge in der Hauptstadt und an anderen Fundorten genauer eingeordnet werden. Als Konsequenz der chronologischen Neuordnung der Befunde haben sich unsere Vorstellungen zur Stadtgeschichte von Hattuša grundlegend geändert. Auch andere neue Erkenntnisse lassen sich aus den Daten ableiten. Sie geben Auskunft über wirtschaftliche und soziale Veränderungen, die die hethitische Gesellschaft auf ihrem Weg zu einer vorderasiatischen Großmacht begleitet haben. In Boðazköy wurde eine Referenzsammlung aus den besprochenen Kontexten erstellt, die als Vergleich für zukünftige Arbeiten dient, sich aber auch für anders gewichtete Studien nutzen läßt. Mehrere Folgeprojekte dieser Art sind bereits begonnen worden.