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"Koloniale Amnesie" in Deutschland und "brava gente" in Italien? - Transnationaler Erinnerungsaktivismus und die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit in Deutschland und Italien

Antragstellerin Dr. Sahra Rausch
Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung seit 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 539388324
 
In den letzten Jahren hat die koloniale Vergangenheit in Europa zunehmend an Bedeutung gewonnen, was sich vor allem in den wiederholten Forderungen nach Anerkennung und Wiedergutmachung ausdrückt. Deutschland und Italien gelten in diesen Debatten jedoch als „Nachzügler“: Nicht nur die wissenschaftliche Literatur verweist dabei auf die verzögert eingetretenen Bestrebungen nach kolonialer Expansion. Auch die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus scheint in beiden Ländern erst „verspätet“ begonnen zu haben. Soziale Bewegungen, lokale Initiativen und engagierte Wissenschaftler:innen werden dabei oft als die zentralen Akteur:innen genannt, die eine öffentliche Auseinandersetzung mit den kolonialen Vergangenheiten anstoßen. Das Projekt geht daher davon aus, dass sich die ehemaligen europäischen Metropolen erst aufgrund der zunehmenden Forderungen nach Anerkennung und Entschädigung durch Erinnerungsaktivist:innen einer Aufarbeitung ihrer kolonialen Vergangenheiten zuwenden. Am Beispiel des postkolonialen Erinnerungsaktivismus in Deutschland und Italien untersuche ich die aktuellen erinnerungspolitischen Entwicklungen in beiden Ländern, die vor dem Hintergrund eines generellen Bedeutungsgewinns der kolonialen Vergangenheiten für die ehemaligen Kolonialgesellschaften nachvollzogen werden müssen. Dazu entwerfe ich ein transnationales Forschungsdesign, das den italienischen und deutschen Erinnerungsaktivismus zueinander in Beziehung setzt. Ziel ist es erstens, die Methoden und Strategien postkolonialer Erinnerungsaktivist:innen zu identifizieren, mit denen versucht wird, der kolonialen Vergangenheit Deutschlands bzw. Italiens Bedeutung für die Gegenwart zu verleihen. Zweitens zielt das Projekt auf eine Betrachtung der diskursiven Bedingungen, unter denen die Forderungen der Erinnerungsaktivist:innen entweder legitimiert oder delegitimiert werden. Schließlich untersucht die Arbeit, auf welche Weise (trans)nationale Debatten lokalen Aktivismus beeinflussen bzw. wie lokales/nationales Engagement die Grenzen des Nationalstaates transzendiert. Um dies zu untersuchen, rekonstruiere ich zunächst die offizielle postkoloniale Erinnerungspolitik Deutschlands und Italiens, da diese den Rahmen für aktivistisches Handeln auf nationaler und lokaler Ebene vorgibt. Daran anknüpfend führe ich Einzelinterviews und Fokusgruppeninterviews mit postkolonialen Erinnerungsaktivist:innen in jeweils zwei Städten pro Land durch. Der Fokus liegt dabei auf der Zirkulation von Wissen und der Aneignung von Praktiken und Ideen über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Dementsprechend entwickelt das Projekt einen methodologischen Rahmen, der über den Nationalstaat bei der Konstituierung von Erinnerung(spraktiken) hinausweist. Die transnationale Vergleichsperspektive leistet damit nicht nur einen methodologischen Beitrag zur Erforschung sozialer Bewegungen, sondern verortet postkolonialen Erinnerungsaktivismus auch in einem breiteren europäischen Kontext.
DFG-Verfahren WBP Stelle
 
 

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