Kulturmuster und Erzählmuster: Zur Fundierung einer mediävistischen Kulturwissenschaft
Final Report Abstract
Ausgangspunkt des Unternehmens war die These, dass zwischen zeittypischen Kulturmustern und in der gleichen Zeit beliebten Erzählmustern eine enge Relation bestehen muss. Diese These wurde zunächst theoretische begründet und mit ähnlichen Überlegungen, vor allem der kognitiven Psychologie, in Beziehung gesetzt. Ausgearbeitet wurde das Konzept des ,Erzählkerns', der als narrative Vermittlung zwischen konfligierenden kulturellen Normen bestimmt wurde. ,Erzählkern' wurde von anderen in der jüngeren Literaturwissenschaft erfolgreichen Konzepten wie Mythos, Strukturschema, Einfache Form abgesetzt. Als Beispiel für die Interaktion divergierender kultureller Tendenzen in rekurrenten Erzählkernen wurde die höfische Epik des 12. bis 14. Jahrhunderts ausgewählt. Die höfische Literatur scheint von Kompromissbildungen geprägt, die in den einzelnen narrativen Texten höchst unterschiedliche Gestalt annehmen und insofern die literarische Auseinandersetzung mit divergierenden Anforderungen auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher poetischer Elaboriertheit spiegeln. Die Kapitel der vorgesehenen Monographie beziehen sich auf Komplexe, die für die höfische Kultur von besonderem Interesse waren: 1. Genealogie, 2. familiäre Reproduktion versus Virginitätsideal, 3. Namensgebung, 4. Konstitution des Selbst, 5. Räume der Öffentlichkeit, 6. Innere Räume, 7. Minne, 8. Passion. Auf jedem dieser Felder wurde untersucht, wie Erzählungen das Verhältnis gegenstrebiger Kräfte und normativer Vorgaben aushandeln, wie aber gleichzeitig poetische Verbindungen einen bestimmten, von der Kultur vorgegebene Rahmen nicht überschreiten. Letzteres war insbesondere an Beispielen zu dokumentieren, die modernen Vorstellungen von Individualität, Innerlichkeit oder Liebe besonders nahe zu kommen scheinen. Den Untersuchungen liegt ein breites Textkorpus zugrunde, das die wichtigsten höfischen Romane umfasst. Neben den großen Klassikern wurden auch weniger prominente Erzählungen bis hin zu den sogenannten Epigonen beachtet. Die Forschungsliteratur konnte angesichts der Dimensionen des Gesamtunternehmens nur selektiv verarbeitet werden.