Ausgangspunkt des Forschungsvorhabens war die Frage, wie sich erklären lasst, dass China sich trotz der Existenz eines autoritären Staates und eines hohen Maßes an Korruption in den letzten Jahrzehnten so rasch entwickelt hat. Dies lässt sich nicht nur von der zentralen Ebene her erklären. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in den 1.400 Landkreisen, in denen Politik effektiv umgesetzt wird und sich daher lokale Entwicklungsprozesse vollziehen, die das Leben der lokalen Bevölkerung verbessern. Heberer und Schubert erklären diese Entwicklung auf lokaler Ebene mit einem spezifischen Erklärungsansatz – dem Konzept der Strategischen Gruppen. Dieses Konzept lehnt sich theoretisch-konzeptionell an die Bielefelder Entwicklungssoziologie an. Letzteres charakterisiert strategische Gruppen als Gruppen von Personen, die „durch ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung oder Erweiterung ihrer gemeinsamen Aneignungschancen verbunden sind“, wobei sich Aneignung nicht nur auf materielle Güter bezieht, sondern auch auf immaterielle wie Macht, Prestige oder Wissen. Außerdem zeichnen sich die Mitglieder solcher Gruppen durch gemeinsame und langfristig angelegte Handlungsstrategien aus sowie durch ein kollektives Selbstverständnis, bedeutender gesellschaftlicher Akteur zu sein. Heberer/Schubert argumentieren, dass auf der lokalen Ebene das Verhalten von Kreis- und Gemeindefunktionären entscheidend für den Erfolg zentraler Reforminitiativen ist. Kennzeichnend für „Strategische Gruppen“ ist die Existenz gemeinsamer Interessen, die sie strategisch verfolgen (Interesse an Aufstieg im Kadersystem sowie positive Evaluierung durch höhere Ebenen als eine der Voraussetzungen dafür), eine kollektive Identität (bedingt durch Abgrenzung gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen und Akteuren als „Avantgarde“ mit einer speziellen Mission sowie die Herausbildung eines esprit de corps), ein gemeinsamer Habitus (Lebensweise und Lebensstil), eine Organisation zur Koordinierung und Kontrolle der Mitglieder der Strategischen Gruppe (die lokale KP-Organisation) und Lernkapazität (die Bereitschaft, innovative Ideen für lokale Politikimplementierung zu entwickeln und umzusetzen). Auf der Ebene eines Landkreises und seiner Gemeinden können alle „Führungskader“ (von der Ebene der Vizeamtsleiter auf Kreisebene, fukeji, aufwärts, was auch die Gemeindeleitungen umfasst) eine solche Gruppe bilden. Allerdings handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe, sondern um eine mit einer hierarchischen Struktur: eine Führungsgruppe (bestehend aus dem Ständigen Ausschuss des Parteikomitees eines Kreises mit dem Kreisparteisekretär an der Spitze) arbeitet die Strategien aus und sorgt dafür, dass alle Mitglieder der Gruppe an der Umsetzung dieser Strategie mitwirken. Das Verhalten der Gruppe ist strategisch, weil es ein längerfristiges, zielorientiertes Design für die Umsetzung von policies gibt, Politikprozesse von dem Führungskern gesteuert werden, dieser Kern das Gruppenverhalten koordiniert und vereinheitlicht. Es ist dann erfolgreich, wenn sich für alle Gruppenmitglieder materielle und immaterielle Vorteile ergeben, wenn und insofern also die strategischen Ziele (positive Evaluierung durch höhere Organe, effektive Politikumsetzung) erreicht werden. Das Projekt hat dazu beigetragen, die Anwendbarkeit des SG-Konzepts erfolgreich nachzuwiesen, das Konzept theoretisch weiterzuentwickeln und, mit seiner Hilfe, die erfolgreiche Entwicklung Chinas von der lokalen Ebene her zu erklären. So ist die Stabilität des KP-Regimes im local state vor dem Hintergrund des strategischen Handelns lokaler Kader anders zu beurteilen, als es die vielen Berichte über Kaderkorruption und Bauernunruhen insinuieren. Der „politische Vertrag“ zwischen dem local state und dem Zentralstaat, demzufolge den Kadern eine weitgehende Autonomie bei der lokalen Politikimplementierung zugestanden wird, solange sie im Sinne der politischen Vorgaben der Zentrale handeln und sich an bestimmte Spielregeln halten, scheint weitgehend tragfähig zu sein und das KP-Regime zu stabilisieren.