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Das politische Denken in den jüdischen Gemeinden der frühneuzeitlichen Venezianischen Republik
Antragsteller
Dr. Martin Borysek
Fachliche Zuordnung
Frühneuzeitliche Geschichte
Religionswissenschaft und Judaistik
Religionswissenschaft und Judaistik
Förderung
Förderung seit 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 512100720
Eine der einflussreichsten Manifestationen des Legendenstatus der Venezianischen Republik ist der "Mythos Venedig", eine von vielen frühneuzeitlichen Intellektuellen geteilte Überzeugung, dass die Republik unter bestehenden Staatswesen dem Idealzustand am nächsten kam. Diese Auffassung teilten auch jüdische Intellektuelle. Viele von ihnen reflektierten die abstrakte Vorstellung des idealen Staates und beschrieben, inwiefern das venezianische Reich diesem Ideal ähnelte. Über die jüdischen Gemeinden unter venezianischer Herrschaft berichteten sie jedoch im Allgemeinen wenig, und wenn doch, wie Simone Luzzatto im Jahr 1638, war das Bild, das sie zeichneten, recht pessimistisch. Diese Situation führte zu der allgemein akzeptierten Vorstellung, dass das Funktionieren der venezianischen jüdischen Gemeinden für die führenden jüdischen Intellektuellen von geringem Interesse war und auch von ihren Werken kaum beeinflusst wurde. Auf der Grundlage meiner bisherigen Arbeit habe ich die dieser Annahme kritisch gegenüberstehende Hypothese formuliert, dass es im jüdischen politischen Denken und in der Praxis tatsächlich eine spürbare Verbindung zwischen den Diskursen der "großen" und der "kleinen Politik" (d. h. den theoretischen Abhandlungen über das Wesen von Staat und politischer Macht einerseits und der alltäglichen politischen Realität andererseits) gab. Ich werde diese Hypothese anhand der Untersuchung dreier spezifischer jüdischer Gemeinden überprüfen: Venedig selbst, Padua und der Insel Korfu. Die ausgewählten Orte repräsentieren die verschiedenen Gebiete der Republik und stellen einen Ausschnitt der vielfältigen jüdischen Bevölkerung Venedigs dar, zu der Juden italienischer, aschkenasischer, sephardischer und byzantinischer Herkunft gehörten. Ich untersuche den Zeitraum zwischen 1516 und 1669, also die Zeit zwischen der Ansiedlung der Juden in Venedig und der Niederlage Venedigs gegen die Osmanen im Krieg von Candia. Für meine Forschung werde ich einen Textkorpus aus veröffentlichten und unveröffentlichten Quellen, sowohl literarischen als auch archivarischen, untersuchen. Ich werde politische Traktate und rabbinische Texte der führenden jüdischen Intellektuellen, sowie Protokolle von Gemeindeversammlungen und andere nichtliterarische Texte, die für den Bereich der "kleinen Politik" relevant sind, verwenden. Ich werde auch nicht-jüdische Archivtexte verwenden, um zu zeigen, wie der Staat die Entwicklung innerhalb der venezianischen jüdischen Gemeinden reflektierte. Die innovative Untersuchung der bisher unerforschten Verbindungen zwischen politischer Theorie und Praxis in der Kulturgeschichte der venezianischen Juden sowie die "pan-venezianische" Perspektive meines Projekts versprechen, ein neues Licht auf den Charakter des politischen Denkens des frühneuzeitlichen Judentums zu werfen. Der interdisziplinäre Ansatz meiner Studie macht sie sowohl für Kultur- und Ideenhistoriker als auch für Wissenschaftler der jüdischen Literatur und Religion relevant.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen