Abwehr des Fremden im Reich des 15. Jahrhunderts
Final Report Abstract
Jörg Bogumil schrieb über die moderne Bürgergesellschaft: Alle Politik ist lokal. Die Analyse der Beziehungsgeflechte im spätmittelalterlichen Reich führte zu einem ähnlichen Befund: Man kann das Reich als ein riesiges Gartenreich beschreiben, mit ganz unterschiedlich strukturierten Räumen, die sich als solche stetig wandelten. Einflüsse der Nachbarschaft wirkten sich - im Innern und an den Grenzen - in der Regel lokal oder höchstens regional aus; das Ganze tangierten sie kaum. In diesem Zustand war das Reich als Ganzes weder offensiv handlungsfähig noch wäre es in der Lage gewesen, einen regionale, soziale oder ökomische Loyalitäten überschreitenden Angriff wirkungsvoll abzuwehren. Allerdings war ein solcher auch nicht realistisch, denn das Reich war wegen seiner enormen Ausdehnung und der Heterogenität seiner sozialen und ökonomischen Landschaften mit den zeitgenössischen logistischen und technischen Möglichkeiten als Ganzes kaum ernsthaft in Gefahr zu bringen. Das war auch den Zeitgenossen bewusst, selbst wenn die Angst vor einem Untergang der Christenheit stets präsent war. Politik war lokal, d.h. die Motivation zur Verteidigung des Reiches speiste sich aus der Wahrnehmung der eigenen Bedrohung. Es war Aufgabe des Herrschers, die Not des Reiches festzustellen, diese zu vermitteln und die Abwehr zu organisieren. Häufig qualifizierte der Kaiser eine Notlage sogar als Gefährdung der Christenheit. Damit erzwang er das grundsätzliche Einverständnis eines jeden Christen zur Verteidigung des Sacrum Imperium. Über das Maß und die Mittel der Selbstbeteiligung sagte dies freilich wenig aus. Im Krisenfall mussten nämlich die Handlungsträger ihre Optionen fein austarieren. Schließlich galt es, die Anforderung bestenfalls dazu zu nutzen, die eigene Position im Kräftespiel des Reiches zu optimieren. Vor allem jedoch mussten die eigenen Rechte geschützt bzw. eine unkalkulierbare Gefährdung der eigenen sozialen Stellung vermieden werden. In diesem Sinne wurde selbst eine als Bedrohung der Christenheit wahrgenommene Reichssache zunächst und vor allem in den eigenen Lebensraum eingeordnet. Daraus ergaben sich wesentliche Konsequenzen für das Ausmaß der Selbstbeteiligung bzw. deren Vermeidung oder zumindest Minimierung. Die Mittel zur Gefahrenabwehr entstammten in der Regel den vertrauten Konfliktregulierungsmechanismen innerhalb des Reiches. Erst wenn sich diese als unwirksam erwiesen, wurden "neue" Problemlösungen gesucht, was infolge der Entwicklung des europäischen Mächtesystems zunehmend nötig wurde. Erfolgsbestimmend war, inwieweit Innovationen zu den Strukturen im Reich passten. Außerdem mussten neue Verfahren strikt konservativ legitimiert werden, als Elemente der von jeher vorhandenen (gottgewollten) Ordnung; meist geschah dies durch eine Präzisierung des Überkommenen.
Publications
- Das Primat der Außenpolitik. Das politische System des Reichs im 15. Jahrhundert. 2013, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN 978-3-428-54002-0.
Sabine Wefers