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Die streitende Demokratie. Auswirkungen des ‚Radikalenerlasses‘ auf Gesellschaft und Subjekte am Beispiel der Institution Schule, 1967-1989

Fachliche Zuordnung Allgemeine und Historische Erziehungswissenschaft
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2019 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 425213234
 
Am 28. Januar 1972 beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder zusammen mit Bundeskanzler Brandt den sogenannten Radikalenerlass, um „Extremisten“ vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Kommunistische Lehrer*innen waren hiervon am häufigsten betroffen. Während sich Befürworter*innen dieses Vorgehens auf das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ beriefen, deuteten dessen Gegner*innen es als Angriff auf Grundrechte und beklagten zunehmende Fälle von (Selbst-)Disziplinierung. Im Gegensatz zu seiner immensen zeitgenössischen Bedeutung ist der Erlass kaum Gegenstand historiographischer Arbeiten geworden. Zwar werden Fragen nach seiner Genese diskutiert, die gesellschaftlichen und individuellen Effekte stellen jedoch ein Desiderat dar.Zwischen Erziehungs- und Geschichtswissenschaft angesiedelt fragt das Projekt am Beispiel der Schule danach, wie sich der „Lange Marsch in die Institutionen“ konkret gestaltete und welche Folgen der Radikalenerlass für Subjekte, Institutionen und Gesellschaft hatte. Der Schule kommt dabei insofern besondere Bedeutung zu, als mit der befürchteten Indoktrinierung der Jugend auch die Zukunft der Nation auf dem Spiel zu stehen schien. Umgekehrt galt jungen, linken Lehrer*innen die Erziehung zur Kritikfähigkeit als elementare Voraussetzung demokratischer Bildung. Vor dem Hintergrund des Erlasses stritten Lehrer*innen, Eltern, Schüler*innen, Schulaufsicht, Medien und Politik darum, was (Erziehung zur) Demokratie auszeichne. Dem Begriff des (politischen und didaktischen) Engagements kam dabei eine Schlüsselrolle zu.Basierend auf Interviews mit Betroffenen, ehemaligen Schüler*innen, Eltern und Kolleg*innen, archivarischen Quellen sowie erziehungswissenschaftlichen Diskursen sollen diese Konflikte und ihre nachträglichen Deutungen rekonstruiert werden. Diese Rekonstruktion wird in einen weiten bildungs- und zeithistorischen Kontext eingebettet, von den Bildungsreformen der 1960er Jahre über die „K-Gruppen“ bis zum Beutelsbacher Konsens und dem alternativen Milieu der 1980er Jahre. Im Rahmen einer Dispositivanalyse werden dabei die produktiven gegenüber den repressiven Aspekten betont: Statt allein disziplinierend zu wirken, verstärkte der Erlass, so die These, die Politisierung der Bildung, diente unterschiedlichen Gruppen als „Anreizung zum Diskurs“ und Möglichkeit, auf Bildungsprozesse Einfluss zu nehmen. In der Folge veränderten sich Vorstellungen von Demokratie und Reform, vom Generationenverhältnis und von politischer Bildung.Das Forschungsprojekt knüpft an aktuelle Debatten um die Bedeutung der 1970er Jahre für die Zeitgeschichtsforschung an. Der Fokus auf das Feld Schule betont die zentrale Rolle von Bildungsfragen für die gesellschaftlichen Aufbrüche seit den 1960er Jahren. Die Frage nach den nachträglichen Sinngebungen trägt darüber hinaus zu unserem Verständnis von „1968“ als Generationszusammenhang sowie von Narrativierungen politischen Protests bei.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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