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Säkularisierung erzählen. Studien zu Anfang und Ende des Säkularisierungsnarrativs in der skandinavischen Literatur 1900/2000
Antragsteller
Professor Dr. Joachim Schiedermair
Fachliche Zuordnung
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Förderung
Förderung von 2018 bis 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 406072830
'Säkularisierung' bezeichnet gemeinhin den Übergang von einer sakral zu einer säkular legitimierten Gesellschaft. Das Konzept besaß zwischen 1900 und 2000 eine schier unangegriffene Plausibilität für die Selbstdeutung europäischer Gesellschaften. Ausgangspunkt des Projekts ist die Beobachtung, dass diese Evidenz in den letzten 15 Jahren sowohl in der wissenschaftlichen wie der öffentlichen Diskussion geschwunden ist – nicht zuletzt durch den erstarkenden fundamentalistischen Islam und neuerdings die Ursachen und Konsequenzen der Flüchtlingsströme.Die Literaturwissenschaft eröffnet in der Krise des Säkularisierungsbegriffs eine grundsätzlich neue Perspektive: Durch die aktuellen Versuche, das Verhältnis von Religion und Gesellschaft anders zu fassen, wird deutlich, dass es sich bei ‚Säkularisierung’ nicht um einen unabwendbaren historischen Prozess handelt, sondern um ein spezifisches Narrativ, also um ein kulturell etabliertes Regelsystem, das es erlaubt, verschiedene Einzelelemente zu einem gemeinsamen narrativen Sinn zu ordnen. Als solches liefert das Narrativ einen Deutungsrahmen, in den individuelle wie kollektive Erlebnisse gegossen und zu einer überzeugenden Erzählung angeordnet werden können. Will man die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen angemessen reflektieren, gilt es also, das Säkularisierungsnarrativ und seine Krise besser zu verstehen.Das beantragte Projekt trägt hierzu bei, indem es die beiden Endpunkte der Ära aufsucht, also die Momente, zu denen das Säkularisierungsnarrativ noch nicht zu seiner kanonischen Form gefunden hatte bzw. sich gerade aus ihr löst. Gefragt wird aus skandinavistischer Perspektive, also danach wie die Literatur Dänemarks, Norwegens und Schwedens an der Formung und Durchsetzung des Säkularisierungsnarrativs um 1900 mitgearbeitet hat bzw. wie sie an seinem Umbau und eventuell seiner Auflösung oder Neuorganisation seit 2000 beteiligt ist: Welche Stimmen lassen sich mit welchen Positionen unterscheiden und welche spezifisch literarischen Mittel der kulturellen Selbstinterpretation kommen zum Einsatz? Welche Logiken bemühen literarische Texte in der Phase der Etablierung des Narrativs, um es glaubwürdig zu machen oder um Alternativen auszuarbeiten? Welche Zweifel oder welche Verteidigungsstrategien formulieren sie in der Phase der Krise des Paradigmas?Das Projekt bearbeitet drei Felder: A) Säkularisierung erzählen um 1900, B) Säkularisierung erzählen um 2000; ergänzt werden sollen die beiden synchronen Teilprojekte durch eine diachrone Studie zu C) Weihnachten erzählen (1800 bis heute), in der das Fest als Ort wahrgenommen wird, an dem sich das wandelnde säkulare Selbstverständnis Nordeuropas nachvollziehen lässt.Das Projekt trägt somit gerade durch seinen genuin literaturwissenschaftlichen Zuschnitt dazu bei, das Sprechen über Religion zu einem Zeitpunkt neu zu bestimmen, da das grundlegende Narrativ, das diese Rolle bisher übernahm, in eine Krise geraten ist.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen