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Ökonomie und Epistemologie von Tratsch in US-amerikanischer Literatur und Kultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
Antragstellerin
Dr. Katrin Horn
Fachliche Zuordnung
Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung
Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 401052633
Die USA des späten 19. und frühen 20. Jh. sind geprägt von einschneidenden Veränderungen des Verständnisses von Privatheit, Öffentlichkeit, Spekulation und Risiko, die bis heute nachwirken. Dieses literatur- und kulturwissenschaftliche Forschungsprojekt konstatiert, dass eine bisher vernachlässigte Form der Wissensproduktion and -zirkulation, nämlich Tratsch, einen innovativen Zugang zu diesen Transformationen bietet. Durch die Analyse realistischer Literatur sowie kommerzieller Publikationen und autobiographischen Schreibens geht die Studie demgemäß den Fragen nach, was und wie Tratsch weiß, und was dieses Wissen wert ist. Der Fokus auf Frauen ergänzt dabei den Forschungsstand um zentrale Erkenntnisse, indem es sich Subjekten widmet, die – anders als die im wissenschaftlichen wie zeitgenössischen Diskurs zu den genannten Umwälzungen zumeist angenommenen – den angeblich zurückgezogenen privaten Raum bewohnen und deren juristischer Status oft prekär ist. Das Projekt geht davon aus, dass Frauen nicht (oder nur in eingeschränkter Form) am Markt teilnehmen können, und deswegen ihr Privatleben selbst "ökonomisiert" wird und viele mit ihrer Heiratsfähigkeit und anderen Formen sozialen Kapitals spekulieren. In dieser Konstellation wird Tratsch – als Grundlage von Gerücht und Skandal, und als Quelle von sonst nicht verfüg- oder teilbaren Wissens – zu einem wichtigen Handelsgut. Das Projekt analysiert so Tratsch als Ware jenseits der am Ende des 19. Jh. aufkommenden Boulevardpresse, indem es den Gebrauch von Tratsch zur sozialen Spekulation mit finanziellen Konsequenzen beleuchtet. Es spezifiziert zudem den epistemologischen Status von Tratsch und sein Potential zur Wissensvermittlung und verbindet diese Erkenntnisse mit der Analyse narrativer Strategien in realistischer Literatur im Umgang mit neuen kulturellen Kontexten und ästhetischen Ansprüchen. Aufbauend auf und in Ergänzung zur Analyse der wirtschaftlichen und epistemologischen Aspekte in Literatur verfolgt diese Studie die Spuren von Tratsch in archivarischem Material (u.a. Library of Congress, New York Public Library) und eröffnet so neue Perspektiven auf die (individuellen und gemeinschaftlichen) Strategien von Frauen im Umgang mit soziokulturellen Zwängen wie finanzieller Spekulation, Risikomanagement und der Neubewertung von Privatheit. Darüber hinaus illustriert es die Zirkulation von Tratsch zur Bewältigung von Unsicherheit und unsicherem Wissen im häuslichen Raum. Es untersucht so auch den Wert von Tratsch als historisches Wissen, das sich vom ‚universellen‘ Wissen der Wissenschaften und Institutionen abhebt. Durch diese Verschiebung hin zu einer als illegitim, verzerrt oder unvollständig betrachteten Wissensquelle hinterfragt diese Studie zur Literatur und Kultur der USA zur Jahrhundertwende die in 'offiziellen' Dokumenten angenommene Dichotomien zwischen öffentlich/privat und häuslich/marktwirtschaftlich und bereichert zudem unser Verständnis der Narratologie realistischer Literatur.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Mitverantwortlich(e)
Privatdozentin Dr. Karin Hoepker