Assistive Media
Final Report Abstract
Das Projekt befasste sich mit der Geschichte und Gegenwart medientechnisch bedingter Barrieren innerhalb digitaler Kulturen und ihrer Überwindung durch Soft- und Hardwareassistenten. Allgemeine Assistenzsysteme sollten dabei ebenso in den Blick genommen werden wie Unterstützungstechnologien für Menschen mit sensorischer, kognitiver oder motorischer Einschränkung. Die Antragsteller schlugen vor, diese technischen Objekte als »Medien der Assistenz« (engl. assistive media) zu begreifen: Einerseits verweist der Begriff auf die vermittelnde Rolle von Assistenzsystemen zwischen Mensch und Umwelt, andererseits geht er davon aus, dass Assistenzsystem sekundäre Medien sind, die Menschen zur Seite gestellt werden, um Barrieren in einer primordialen ›Maschine-Mensch-Interaktion‹ zu überwinden. Die Arbeitshypothese des Projektes lautete, dass die Geschichte von Medien der Assistenz von einem nicht-anthropozentrischen Denkstil geprägt ist, der bis heute spezifische Formen digitaler Zugänglichkeit hervorbringt. Der Fokus der drei Arbeitsbereiche des Projektes lag auf der Frage: Inwiefern haben Entwickler/innen und Ingenieur/innen von Medien der Assistenz Menschen als Umwelt von Maschinen gedacht haben und hat dieser historisch gewachsene Denkstil gegenwärtige Formen digitaler Zugänglichkeit geprägt? Das Projekt verortete sich an der Schnittstelle von Medienwissenschaft, Kulturwissenschaften, Disability Studies, Computergeschichte und Informatik. AB1 verband eine umfassende Mediengeschichte des Smartphones inkl. seiner Sensoren als Assistenzmedium mit drei Einzelstudien zur Mediengeschichte Digitaler Barrierefreiheit (Assistenz, Inklusion und Accessibility, Augensteuerung). Die aus diesen Studien gewonnene allgemeine Perspektive auf Medien der Assistenz wurde von zwei Fallstudien flankiert: Aufbauend auf einer Auswertung neu erschlossenen Archivmaterials untersuchte AB2 jene Medien der Assistenz, die bei der s.g. Mead-Conway-Revolution im Computerchip-Design um 1980 zum Einsatz kamen. AB3 hingegen leistete eine Rekonstruktion der diskursiven Verschränkungen zwischen Medientechnologien, Behinderung und Haptik-Forschung im frühen 20. Jahrhundert am Beispiel des Teletactors von Robert Harvey Gault. Zu den zentralen Ergebnissen des Projektes, gehört erstens die Erkenntnis, dass Medien der Assistenz mittels ihrer Sensoren umgebungssensitiv agieren und Menschen zu ihren eigenen Assistenten machen. Zweitens konnte gezeigt werden, dass Medien der Assistenz in spezifischen historischen Konstellationen an der Ko-Konstitution von Behinderung beteiligt waren und sind. Drittens sind Begriffe wie ›Accessibility‹, und ›Digitale Inklusion‹ historisch kontingente und von Medientechnologien geprägte Begriffe, die spezifische Vorstellungen von Ein- und Ausschlüssen implizieren. Die Beispiele des Teletactors und des Eye-Tracking zeigen viertens, dass Behinderung als Faktor transformativ auf die Entwicklung von Medien wirken kann, insofern Medien als Mittel der ›Integration‹ oder ›Inklusion‹ von Menschen mit Behinderung begriffen werden. Die Beteiligung von drei Projektmitgliedern am DFG-Netzwerks »Dis-/Abilities. Nicht/Behinderung im Kontext der Digitalisierung« hat sich auf den Projektverlauf besonders positiv ausgewirkt. Die Covid-19-Pandemie bedeutete einen großen Einschnitt und erforderte Streichungen bzw. Anpassungen im Arbeitsplan, der gesellschaftliche Digitalisierungsschub sorgte aber auch für überraschende Impulse im Bereich Digitaler Barrierefreiheit. Das Projekt hat signifikante Beiträge zur Forschung generiert: Einerseits wurden das Thema Assistenz sowie neueste theoretische und methodische Ansätze aus den Disability Studies in die deutschsprachige Medienwissenschaft getragen. Mit einer Theorie ›assistiver Medien‹ und einer genuin medienwissenschaftlichen Perspektive auf das Thema Behinderung wurde andererseits ein innovativer Impuls innerhalb der Disability Studies gesetzt. Im Rahmen von fünf Vorträgen auf nationalen, und fünf Vorträgen auf internationalen Tagungen wurden die Forschungsergebnisse präsentiert. Im Rahmen des Projekts sind eine Monographie, ein gemeinsam herausgegebener Sammelband sowie sieben Buchbeiträge mit wissenschaftlicher Qualitätssicherung zum Thema entstanden. Nicht zuletzt gelang der Transfer in nichtwissenschaftliche Öffentlichkeiten, etwa durch die Kooperation mit Vision Inclusiv oder öffentlichen Vorträgen, die sich an ein nichtwissenschaftliches Publikum richteten.
Publications
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»Smartphones und ihre soziale Sensorik. Zur Medienarchäologie des zellularen Mobilfunks«, in: Titze, A (Hg.): Geschichte der elektrischen Kommunikation bis zum Smartphone, Essen: Klartext Verlag, 2019, S. 255-268
Hagen, W.
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Assistenz. Technikanthropologie (2020), 411-415. Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG.
Müggenburg, Jan
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Assistive Media. Barriers and Interfaces in Digital Cultures, Bielefeld: transcript 2023
Macele, P. (geb. Sander); Müggenburg, J. & Wiechern, A.-L.
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»Protected Virtual Mode«, in: Klaut, M./Pias, C./Schnödl, G. (Hg.): Stimmen Hören. Festschrift für Wolfgang Hagen, Berlin: Ciconia 2020, S. 249-252
Macele, P. (geb. Sander)
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»The Case of Willetta Huggins«, in: Klaut, M./Pias, C./Schnödl, G. (Hg): Stimmen Hören. Festschrift für Wolfgang Hagen, Berlin: Ciconia, S. 277-282
Wiechern, A.-L.
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Assistenz für wen?. Digitale Gesellschaft (2021, 10, 1), 339-358. transcript Verlag.
Stock, Robert & Müggenburg, Jan
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Neudasein. Essays zur sozialen Epistemologie der Smartphone-Fotografie, Berlin: Kadmos 2021
Hagen, W.
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»Digitales Versehen. Zur Parahumanität der Digitalfotografie«, in: Carolin Lano, Lars Nowak, Peter Podrez, Nicole Wiedenmann (Hg.): Parahumane Bilder, Würzburg: Verlag Königshausen, 2021, S. 349-378
Hagen, W.
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»Dis/Ability and Digital Cultures. A Media-Archaeological Perspective on Inclusion as a Cipher«, in: Boger, M./Bühler, P./Floth, A./Vogt, M. (Hg.): Inklusion als Chiffre. Bildungshistorische Analysen und Reflexionen, Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2021, S. 93-105
Müggenburg, J.
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Access and tinkering: designing assistive technologies as political practice–A discussion with Zeynep Karagöz, Thomas Miebach and Daniel Wessolek. Journal of Enabling Technologies, 16(3), 231-242.
Bieling, Tom; Şahinol, Melike; Stock, Robert & Wiechern, Anna–Lena
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Playing with the Eyes. A Media History of Eye Tracking. Palgrave Games in Context (2023, 12, 19), 117-143. Springer International Publishing.
Macele, Philipp & Mueggenburg, Jan