Travelling knowledge: the glocalization of medical professional knowledge and practice
Final Report Abstract
In Sozialwissenschaften und Politik ist umstritten, in welchem Ausmaß die Arzt-Patient-Interaktion durch lokales und kulturspezifisches Wissen geprägt ist. Das Projekt „Mobiles Wissen. Die Glokalisierung von medizinischem professionellem Wissen und professioneller Praxis“ untersuchte daher zunächst, ob und wie Behandlungsleitlinien für eine schwere und chronische Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, länderübergreifend ähnlich oder verschieden sind. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Reihe makroregionaler kardiologischer Vereinigungen, darunter die ESC sowie der Verbund aus ACC, AHA und HFSA, für fast alle nationalen Berufsverbände weltweit richtungsgebend geworden sind. Behandlungsleitlinien differieren nur geringfügig, obwohl sich Krankheitsursachen und Behandlungsmöglichkeiten zwischen den Weltregionen unterscheiden. Das spricht für eine globale Standardisierung medizinischen Wissens. Es könnte jedoch sein, dass die Praxis deutlich stärker variiert als die Standards. Das Projekt beobachtete daher 71 Ärzte und Ärztinnen in Universitätskliniken in Peking (PRChina), Würzburg, Groningen (Niederlanden) und Ankara (Türkei) dabei, wie sie SchauspielpatientInnen behandeln, die zwei Varianten von Herzinsuffizienz simulierten. Diese ärztliche Praxis wurde durch interdisziplinäre Teams von SoziologInnen und ärztlichen SpezialistInnen aus Kardiologie, Medizindidaktik und Public Health untersucht. Zwischenergebnisse aus diesem Projektteil zeigen, dass z.B. eine kardiologische Chefärztin in Groningen und ein Arzt in Ausbildung in Peking in der Anamnese weitgehend gleiche Symptome in weitgehend ähnlicher Reihenfolge abfragen. Auch die ersten Behandlungsansätze unterscheiden sich kaum. Es existieren erhebliche „Stil“-Unterschiede in der Art, wie die Interaktion gestaltet wird, die sich teilweise mit Unterschieden im Ausbildungssystem, aber auch mit Erfahrungs- und Persönlichkeitsunterschieden erklären lassen. Besonderheiten von Nationalstaaten zeigen sich in der beobachteten Interaktion weniger als „kulturelle“ Unterschiede, sondern eher als Organisationsweisen des Gesundheitswesens. So verweisen ÄrztInnen in den Niederlanden auf die dort existierenden spezialisierten Pflegekräfte, die die Medikation der PatientInnen engmaschig betreuen und überwachen. Diese Zwischenergebnisse sind vorläufig und werden derzeit durch weitere Auswertungen vertiefend untersucht. In der Debatte über Globalisierung scheint es manchmal so, als würde sich marktförmige Steuerung globalisieren, während der Staat die Besonderheit alltäglicher Lebenswelten schützt. Z.B. prüft das staatliche Gesundheitswesen, ob ausländisch qualifizierte ÄrztInnen im Inland praktizieren dürfen. Die Ergebnisse des Projekts zeigen zumindest für die Kardiologie, dass sich nicht nur das professionelle Wissen, sondern auch die professionelle Praxis in einem erheblichen Ausmaß angeglichen haben. Die von uns befragten ExpertInnen und die von uns beobachteten ÄrztInnen aller Erfahrungsstufen kennen die Behandlungsempfehlungen aus anderen Ländern und sie lösen die sozial-materiellen Probleme, die sich in einem ärztlichen Erstgespräch stellen, auf recht ähnliche Weise. Wenn sich diese Ergebnisse auf andere Professionen übertragen ließen, die wie die Medizin sozial-materielle Probleme lösen, würde dies bedeuten, dass die Globalisierungsforschung ihr empirisches Forschungsinteresse auf eine – vermutlich große Zahl – transnationaler (semi-)professioneller Gemeinschaften ausdehnen sollte.
Publications
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Quasinowski, Benjamin und Tao Liu
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Weiß, Anja, Benjamin Quasinowski und Ilka Sommer
(See online at https://doi.org/10.26092/elib/1395)