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Hygienepropaganda und theatrale Biopolitik in der Sowjetunion der 1920er- 40er Jahre. Das Moskauer Theater der Sanitären Kultur als Fabrik des Neuen Menschen.

Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung seit 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 391089250
 
Das Forschungsvorhaben untersucht die Funktion und Wirkung offizieller Gesundheitspropaganda in der Sowjetunion während der ersten drei Jahrzehnte nach der Oktoberrevolution am Beispiel theatraler Inszenierungen von Gesundheit und Krankheit. Das politische „Heilsziel“ eines „neuen Menschen“, das sich die bolschewistische Disziplinarmacht auf die Fahnen schrieb, erforderte sowohl geistige als auch körperliche Erneuerung und damit eine hygienische Optimierung der Massen. Zu diesem Zweck wurden seit Beginn der 1920er Jahre auf Freilichtbühnen und in den Klubhäusern, in Fabrikhallen und Lesehütten für Arbeiter und Bauern und selbst auf den Kolchosfeldern der Sowjetrepublik Lehrstücke aufgeführt, die aktuelle sozialmedizinische Probleme thematisierten. Ein Großteil dieser Darbietungen wurde von den Organen des Volkskommissariats für Gesundheitsschutz veranstaltet und zentral institutionalisiert, indem man dafür in Moskau ein eigenes Theater gründete. Der Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Beobachtung, dass das seinerzeit avancierteste kommunikative Mittel der "sanitären Alphabetisierung", die Schauspielkunst, noch nicht in den Blick genommen wurde, obwohl die Popularisierung und Inszenierung hygienischen Wissens von der Historiographie der Sowjetunion in ihrer machtpolitischen Tragweite häufig reflektiert werden. Mithin stand gerade das Theater als performativer Ort eines direkten Dialogs mit dem Zuschauer, im Fokus der frühsowjetischen Hygienisierung. Das Projekt hat verfolgt, in welchen personellen, theaterpolitischen und sozialmedizinischen Kontexten das Moskauer Hygienetheater sich entwickelte, in welchen Präsentationsformen und mit welchen Deutungsansprüchen es auf die wechselnden hygienepolitischen Herausforderungen reagierte. Hierbei hat es eine große Fülle von Quellen, Befunden und Fragestellungen zu Tage gefördert, die über den institutionellen, zeitlichen und geographischen Rahmen des Erstantrags hinausweisen. Erstens konnten die Anfänge der theatralen Hygieneaufklärung bereits in der Zeit des russischen Bürgerkrieges datiert werden. Wie diese innerhalb der Roten Armee organisiert war, gilt es aber noch zu klären. Zweitens schälte sich als Ergebnis heraus, dass das Moskauer Hygienetheater in ein weit verzweigtes Netzwerk gleichartiger Einrichtungen eingebunden war, womit die wichtige Frage nach dem Spannungsverhältnis von Zentren und inneren Peripherien und spezifischen Ausprägungen der theatralen Hygienepropaganda in lokalen Kontexten in den Fokus rückte. Drittens ließen sich für die Zeit des Zweiten Weltkrieges neue Quellen ausfindig machen, die noch genauer zu untersuchen sind. Viertens konnten Indizien für außerordentlich hohe internationale Strahlkraft des sowjetischen Theaterexperiments geliefert werden. Insbesondere die Bezüge zum US-Amerikanischen Federal Theater Project sollen einer Vergleichs- und Interaktionsanalyse unterzogen werden. Zu diesen Zwecken wird eine zweijährige Verlängerung der Projektförderung beantragt.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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