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Ästhetik(en) der Roma: Literatur, Comic und Film von Roma in der Romania

Fachliche Zuordnung Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2017 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 359840883
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Literarisch-künstlerische Produktionen von Roma sind in der traditionell oral geprägten Kultur Europas größter Minderheit ein noch vergleichsweise neues Phänomen. Dies gilt auch mit Blick auf den ästhetischen Selbstausdruck, der von Vertretern der diasporisch lebenden Minderheit in den Ländern der Romania hervorgebracht wurde. In den vergangenen Jahrzehnten manifestierte sich jedoch europaweit eine deutliche Zunahme an Produktionen in den Bereichen Literatur, Comic, Theater und Film, die in den Literaturwissenschaften wie in den Romani Studies und der Antiziganismusforschung im Gegensatz zur Erforschung von literarischkünstlerischen Fremddarstellungen jedoch weitgehend unterbelichtet blieb. Vor diesem Hintergrund setzte sich das wissenschaftliche Netzwerk „Ästhetik(en) der Roma: Literatur, Comic und Film von Roma in der Romania“ das Ziel, erste Ansätze zur Schließung dieser Forschungslücke aus der Perspektive einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten, romanistisch fokussierten Literaturwissenschaft zu liefern. In den Fokus der Forschungsarbeit wurde dabei unter Berücksichtigung von Kontext und Inhalt die konkrete ästhetisch-poetische Gestaltung der untersuchten Werke gesetzt: Die Herausarbeitung ästhetischer Verfahren und Techniken sollte insbesondere dazu dienen, der Frage nachzuspüren, ob sich eine oder unterschiedliche Ästhetik(en) ausmachen lässt/lassen, die spezifisch mit der Kultur der Roma in Verbindung steht/stehen und ästhetische Produktionen von Roma damit von solchen der Mehrheitskulturen unterscheidet. Auf der Grundlage zweier zentraler pragmatischer Festlegungen, nämlich, dass der Begriff ,Roma‘ als Dachbegriff verwendet wird und das Korpus in romanischen Sprachen verfasste Werke von solchen AutorInnen umfasst, die sich selbst als Roma bezeichnen oder paratextuell als solche ausgewiesen werden, gelang es dem Netzwerk das von Deleuze / Guattari (1976) entwickelte Konzept der ,kleinen Literatur‘ auf den literarisch-ästhetischen Selbstausdruck von Roma zu übertragen: Die untersuchten Werke nutzen Sprache und ästhetische Verfahren der Mehrheit, ohne jedoch mit diesen identisch zu sein oder sich mit diesen identisch zu fühlen und bewegen sich folglich stets in einem Spannungsfeld zwischen den Polen Partizipation / Integration / Assimilation einerseits und Ausgrenzung / othering / Subversion andererseits. Aufgrund der mitunter stark ausgeprägten Diversität und Heterogenität einzelner Untergruppen der Minderheit ist schließlich von einer Vielzahl kleiner Roma-Literaturen auszugehen, deren Besonderheit in ihrer Transversalität und rhizomatischen Vernetzung zu sehen ist. Entsprechend kann davon gesprochen werden, dass die verbindenden Eigenarten der kleinen Roma-Literaturen im Sinne Wittgensteins (1953) als ,Familienähnlichkeiten‘ zu verstehen sind, als Tendenzen und Merkmale also, die sich auf ästhetischer Ebene nachweisen lassen und als verbindende ,Handschrift‘ von Roma-Literaturen betrachtet werden können, die trotz aller Individualitäten und Spezifitäten allen Werken von Roma-AutorInnen gemein sind und sie in diesem Sinne als Weltliteratur kennzeichnen. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Roma-Ästhetiken als dynamisches Kontinuum zu verstehen sind und sich die kleinen Roma- Literaturen in vier unterschiedliche ästhetische Felder und literarische Muster einschreiben, die von ,naiven‘ Formen ästhetischen Selbstausdrucks über realistische und ,moderne‘ Schreibverfahren bis hin zu Formen einer dezidierten Emanzipations- und Abgrenzungsästhetik reichen. Das Netzwerk hat damit einen wichtigen Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Erforschung des ästhetischen Selbstausdrucks von Roma geleistet und äußerst wichtige Impulse für weitere Forschungen (u.a. zu den Bereichen Weltliteratur und Kanon, literarische Mehrsprachigkeit, inter- und transmediale Konstellationen und engagierte Literatur / Ästhetiken des Widerstands) gegeben. Dabei wurde deutlich, dass die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit den kleinen Roma-Literaturen aufgrund ihres per se transnationalen Charakters letztlich immer auch komparatistische Forschung sein muss. Mit der Begründung der transdisziplinären wissenschaftlichen Buchreihe „Ästhetik(en) der Roma. Selbst- und Fremdrepräsentationen / Romani Aesthetic(s) – self- and external representations“ (Akademische Verlagsgemeinschaft München) wurde zudem eine editorische Plattform für zukünftige Forschungsbeiträge zu dem weiter zu erschließenden Themenfeld geschaffen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2017): „Roma & Sinti. Der erfolgreiche Weg zur Selbstrepräsentation“, in Nitsche, Gerald Kurdoğlu / Gitterle, Bruno (Hgg.), Steine am Weg. Gedichte und Erzählungen, Landeck: Eye, 44–47
    Eder-Jordan, Beate
  • (2018): „Gesellschaftsverändernde Potentiale von Wissenschaft. Kritische Forschung und Lehre zur Situation von Roma und Sinti in Österreich“, in: Weiss, Alexandra; Liebhart, Karin (Hgg.), Spuren des Widerständigen. Forschung für Emanzipation und Demokratie. Eine Festschrift für Erika Thurner, Innsbruck: innsbruck university press, 59–81
    Eder-Jordan, Beate / Hussl, Elisabeth
  • „Romani nomadism: from hetero-images to self-representations“, in: Nomadic Peoples, 22 (2018), 143–161
    Toninato, Paola
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3197/np.2018.220109)
  • Aux frontières: Roma als Grenzgängerfiguren der Moderne / Aux frontières: Les Roms comme figures frontalières de la modernité, München: AVM 2020
    Bauer, Sidona / Hagen, Kirsten von (Hgg.)
  • Selbst- und Fremdbilder von Roma in Comic und Graphic Novel, München: AVM 2020
    Hertrampf, Marina Ortrud M. / Hagen, Kirsten von (Hgg.)
  • Ästhetik(en) der Roma, München: AVM 2020
    Hertrampf, Marina Ortrud M. / Hagen, Kirsten von (Hgg.)
  • „Poetic Interplays: García Lorca's Poema del Cante Jondo and Romancero Gitano and Helios Gómez's Poemas de lucha y sueña“, in: PhiN 89 (2020), 29–42
    Hertrampf, Marina Ortrud M.
  • „When National Assimilation Policies Encounter Ethnic Resilience: The Case of Western European Roma“, in Ferrini, Cinzia (Hg.), Human Diversity in Context, Trieste: EUT 2020, 267–290
    Toninato, Paola
 
 

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