Differentialalgebraische Methoden beim Steuerungsentwurf für Systeme mit örtlich verteilten Parametern mit Fokussierung auf thermodynamische Systeme
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der vorliegende Bericht behandelt den Entwurf von Steuerungen für Systeme mit verteilten Parametern (SVP) mit verteilten Eingängen. Es werden lineare hyperbolische SVP erster Ordnung und lineare parabolische SVP zweiter Ordnung betrachtet, die im Bereich der thermischen Prozesstechnik von großer Bedeutung sind. Der verteilte Eingang stellt die Stellgröße dar und wirkt über ein ortsvariantes Einflussprofil, während Randeingänge als Störgrößen berücksichtigt werden. Dabei wird berücksichtigt, dass sich diese Prozesse oftmals durch verschaltete Strukturen auszeichnen, die durch mehrere verkoppelte Teilsysteme dargestellt werden. Ursächlich sind z. B. seriell verkoppelte Heiz- und Kühlzonen eines Ofens oder die Konfiguration mit mehreren Rohren bei einem Wärmetauscher. Im Hinblick auf Anfahrvorgänge und Arbeitspunktwechsel ist die Vorgabe eines gewünschten Ausgangsverlaufs von großer Bedeutung. Dementsprechend ist das Ziel des Vorhabens der Steuerungsentwurf zur Realisierung einer Trajektorienfolge der Ausgangsgrößen des Systems und deren Entkopplung von Randstörungen. Zu diesem Zweck wurden zwei Steuerungsmethoden entwickelt, die durch Inversion der Systemdynamik die Bestimmung der Steuerung aus einer Trajektorie des Ausgangs ermöglichen. Die erste im Rahmen des Projekts entwickelte Methode zum Steuerungsentwurf basiert auf einer integralen Systemdarstellung, die insbesondere für Transportprozesse einfach herzuleiten ist. Mithilfe eines iterativen Algorithmus gelingt die Lösung der integralen Beziehung zwischen verteiltem Eingang und geplanter Ausgangstrajektorie und somit die Berechnung der Steuerung. Die zweite Methode stellt eine Erweiterung dieses Vorgehens dar. Durch eine Systemumformung wird dieser integrale Zusammenhang in zwei Anteile aufgespalten: ein randgesteuertes SVP und ein System mit konzentrierten Parametern (SKP), das durch gewöhnliche Differentialgleichungen beschrieben wird. Durch die spezifische Struktur der partiellen Differentialgleichung und eine Ortsansatzfunktion für die verteilte Quellenfunktion ist es möglich, die Systeminversion auf ein endlich dimensionales SKP zu beschränken. Beide Vorgehensweisen berücksichtigen Verschaltungen der Systeme durch mehrere Teilsysteme und nutzen sie für den Steuerungsentwurf aus. Dazu wird das Vorsteuerungs-Problem nur auf Teilsystem-Ebene gelöst und durch eine übergeordnete Trajektorienplanung koordiniert, wobei durch Verwendung geeigneter Trajektorien Beschränkungen der Stelleingriffe berücksichtigt werden können. Die entwickelten Methoden wurden in der Simulation von Transportprozessen und Wärmeleitungsproblemen untersucht und haben sich als sehr tragfähig erwiesen. Dies wurde durch den Vergleich mit optimalsteuerungsbasierten Verfahren zur (numerischen) Modellinversion bestätigt. Dazu wurden Referenzlösungen mit Methoden der optimalen Steuerung (numerische Approximation durch Voll- und Semi-Diskretisierung) ermittelt, anhand derer die inversionsbasierten Ansätze bewertet wurden. Die Ergebnisse zeigen übereinstimmende Resultate, wobei die wesentlichen Vorteile der Optimalsteuerungsansätze die breite Anwendbarkeit und die mögliche Einbeziehung von Beschränkungen in den Steuerungsentwurf sind. Damit ist gegebenenfalls die Ermittlung der Solltrajektorie für den Modellausgang und des zugehörigen Modelleingangs in einem Arbeitsschritt möglich. Die betrachteten vergleichsweise einfachen Aufgabenstellungen können zuverlässig und mit geringem numerischem Aufwand mit „discretize-then-optimize"-Ansätzen, d. h. Diskretisierung der Modellgleichungen mittels finiter Differenzen und anschließender Lösung eines endlich-dimensionalen, großen und strukturierten nichtlinearen (in den betrachteten Beispielen linear-quadratischen) Optimierungsproblems approximiert werden. Der hohe Implementierungsaufwand für einen solchen Solver kann als Nachteil gesehen werden, insbesondere wenn für weniger leistungsfähige (prozessnahe) Hardware keine entsprechende Software zur Verfügung steht. Die Anwendung rein numerischer Verfahren und speziell der „early lumping"-Ansätze gestattet zudem eine deutlich geringere Einsicht in die Systemdynamik als die differentialalgebraischen Verfahren. Hier liegt ein deutlicher Vorteil der entwickelten inversionsbasierten Ansätze. Abschließend wurden die Ergebnisse der inversionsbasierten Methoden experimentell an einem Speiser in der Behälterglasindustrie validiert. Vorrangig sollte dort ein schneller Arbeitspunktwechsel bei Entkopplung von Randstörungen realisiert werden. Durch Anwendung der entwickelten Steuerungsmethode konnte eine modellbasierte Vorsteuerung entworfen werden, die in einer Zwei-Freiheitsgrade-Regelkreisstruktur an der Anlage eines Industriepartners implementiert wurde und eine deutliche Verkürzung der erforderlichen Übergangszeit bei Arbeitspunktwechseln erzielte. Im Hinblick auf die Fortsetzung des Vorhabens haben sich verschiedene Ansatzpunkte für Weiterentwicklungen herauskristallisiert. Die Verfahren der iterativen Kompensation bieten das Potential zeitvariante Koeffizienten beim Steuerungsentwurf mit einzuschließen, wie bereits in ersten Ansätzen gezeigt wurde. Ein weiterer Punkt betrifft die Betrachtung von verteilten Störeingängen. Dazu kann die erweiterte Systemeinsicht genutzt werden, die durch die inversionsbasierte Vorgehensweise gewonnen wurde. Statt des Steuerungsentwurfs steht dabei die Störkompensation im Vordergrund. Hier ist es möglich mit den gleichen Werkzeugen, die ira Rahmen des Vorhabens für verteilte Stelleingriffe entwickelt wurden, eine inversionsbasierte Strategie abzuleiten.