Koloniebildende Grünalgen des Dictyosphaerium-Morphotyps gehören weltweit zu den typischen Vertretern des Planktons in Süßwasser-Habitaten. Dieser Morphotyp ist durch runde oder ovale Zellen, die durch gallertartige Stränge miteinander verbunden sind, chrakterisiert. Die so entstandenen Kolonien sind von einer dicken Schleimhülle umgeben. Im Projekt wurden Diversität und Verwandtschaftsbeziehungen des Dictyosphaerium- Morphotyps mit Hilfe eines kombinierten Ansatzes aus molekular-phylogenetischen Untersuchungen, Sekundärstrukturanalysen und morphologischen Beobachtungen evaluiert. Es wurde gezeigt, dass der Dictyosphaerium-Phänotyp polyphyletisch innerhalb der Chlorellaceae (Trebouxiophyceae) entstanden ist. Die Typusart der Gattung, Dictyosphaerium ehrenbergianum, gehört zu einer neuen phylogenetischen Linie im Parachlorella-Clade der Chlorellaceae. Folglich ist der Gattungsname Dictyosphaerium nur für Arten gültig, die mit dieser eng verwandt sind. Zwei weitere phylogenetische Linien entwickelten sich neben der des Epityps, deren Stämme D. ehrenbergianum morphologisch stark ähneln. Allerdings wies die genetische Signatur komplementäre Basenaustausche (CBCs) innerhalb der konservierten Regionen der ITS-2 auf. Demzufolge entsprachen diese phylogenetischen Linien nach Colemans CBC Konzept zur Artdifferenzierung unabhängigen Arten, auch wenn die morphologischen Unterschiede nur gering waren. Eine der häufigsten Dictyosphaerium-Arten in Binnengewässern ist D. tetrachotomum mit ovalen Zellen, die an den Spitzen mit Gallertsträngen verbunden sind. Dieser Phänotyp evolvierte innerhalb einer neuen Linie im Chlorella-Clade der Chlorellaceae, die als neue Gattung Hindakia beschrieben wurde. Des Weiteren konnten mehrere unabhängige phylogenetische Linien mit Dictyosphaerium-artigen Phänotypen und runden Zellen innerhalb der Chlorella- und Parachlorella-Clades entdeckt werden. Basierend auf ihrer phylogenetischen Position und molekularen Charakteristiken wurden neue Gattungen und Arten beschrieben. Überraschenderweise wurde eine nahe Verwandtschaft des Dictyosphaerium- Morphotyps zur solitären und schleimlosen Art Chlorella vulgaris nachgewiesen. Innerhalb der Gattung Chlorella wurden neun neue Linien aufgezeigt, wobei sieben davon koloniale Arten mit Schleimhülle darstellen. Basierend auf diesen Erkenntnissen musste das Gattungskonzept von Chlorella emendiert werden, um koloniale und schleimbildende Arten mit einzubeziehen. Weiterhin zeigten die phylogenetischen Studien, dass der Dictyosphaerium-Morphotyp auch innerhalb der Klasse der Chlorophyceae evolvierte. Sämtliche pyrenoidfreien Dictyosphaerium-Stämme formten ein gemeinsames Cluster mit solitären Vertretern der Gattung Mychonastes. Es konnten keine klaren Gruppierungen zwischen den solitären und kolonialen Stämmen aufgezeigt werden. Deshalb wurden die Pseudodictyosphaerium-Arten in die Gattung Mychonastes überführt. Vorliegende Ergebnisse zeigen, in welchem Maße molekulare Resultate unser Verständnis über die Klassifizierung und die Konzepte zur Gattungs- und Artabgrenzung von kolonialen und schleimbildenden Grünalgen verändern können. Viele morphologische Merkmale sind das Resultat konvergenter Evolution und phänotypischer Anpassung an die Bedingungen im Ökosystem und stellen keine direkte phylogenetische Verwandtschaft dar. Diese Erkenntnisse verdeutlichten weiterhin die Bedeutung von gut untersuchten und genau charakterisierten Algengruppen als Modelle für die Konstruktion des Stammbaumes der Grünalgen.