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Mannwerdung hinter Mauern. Internatserziehung und adoleszente Männlichkeit(en) in Deutschland und England, 1870-1930
Antragsteller
Privatdozent Dr. Daniel Gerster
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2017 bis 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 353613065
Was einen Mann zum Mann macht, wird bestimmt im Verhältnis zu anderen Männern und zu Frauen, aber auch zum Alter und eigenen Körper, zur Klasse, Nation und Religion. Was ein Mann ist, drückt sich folglich in unterschiedlichen Vorstellungen und Praktiken aus und war in der Geschichte häufig umkämpft. Ein neues Konfliktfeld tat sich im ausgehenden 19. Jahrhundert auf, als die bürgerlichen Gesellschaften in Westeuropa die Jugend als eigenständige Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsensein (neu) entdeckten. Was einen Jungen zum Mann werden ließ und welches der richtige Weg dorthin sei, Fragen nach der adoleszenten Männlichkeit also, standen von nun an vehement zur Debatte. Die Antworten fielen je nach sozialem, religiösem und nationalem Kontext unterschiedlich aus. Das lässt sich vor allem dort zeigen, wo die Mannwerdung außerhalb des üblichen familiären Sozialisationsregimes und (metaphorisch gesprochen) hinter Mauern gedacht und praktiziert wurde: in der Internatserziehung.Im Rahmen des Projekts werden adoleszente Männlichkeiten, wie sie in der deutschen und englischen Internatserziehung zwischen 1870 und 1930 konzipiert und praktiziert wurden, erstmalig systematisch historisiert. Anhand von ausgewählten Fallbeispielen wie dem traditionellen englischen Jungeninternat Harrow oder dem deutschen Landerziehungsheim Schloss Bieberstein wird gefragt:1. Welche Konzepte von adoleszenter Männlichkeit trugen Pädagogen und Erzieher im Umfeld von Internaten vor? Wie grenzten sie diese zu anderen Geschlechtskonzepten ab? Welchen Einfluss hatte die soziale Position der Sprecher?2. Durch welche Praktiken wurde die Mannwerdung in den Internaten eingeübt? Inwiefern waren diese durch soziale, religiöse und andere Kontextfaktoren bestimmt? Welche Wechselwirkung zeigte sich zu den öffentlichen Debatten?3. Welche nationalen Unterschiede und welche transnationalen Verflechtungen lassen sich zwischen Konzepten und Praktiken der Mannwerdung im Deutschen Reich und in England ausmachen? Welchen Einfluss hatten historische Ereignisse wie die Frauenemanzipation oder der Erste Weltkrieg?Das Projekt ordnet sich in zentrale Debatten der aktuellen Männlichkeitsgeschichte ein. Es wird die Genese von (neuen) Vorstellungen von adoleszenter Männlichkeit seit dem späten 19. Jahrhundert erforschen und ihren Wandel in Abhängigkeit von anderen gesellschaftlichen Faktoren wie sozialer Schicht und Religion sowie vom historischen Kontext erklären. Darüber hinaus wird die Studie Antworten auf die aus historischer Perspektive bislang häufig vernachlässigte Frage bieten, wie Mannwerdung in der sozialen Alltagspraxis vermittelt wurde. Es ist zu erwarten, dass sich Männlichkeitskonzepte und -praktiken bei allen Unterschieden gegenseitig beeinflusst haben. Schließlich wird das Projekt mithilfe eines Vergleichs zwischen dem Deutschen Reich und England einen Beitrag zur Diskussion um nationale Differenzen und transnationale Verflechtungen in der europäischen Hochmoderne leisten.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Kooperationspartner
Professor Dr. Thomas Großbölting; Professor Dr. Paul Nolte; Professor Dr. Jürgen Overhoff