Krieg und medikale Kultur. Patientenschicksale und ärztliches Handeln im Zeitalter der Weltkriege (1914-1945)
Final Report Abstract
Die Zielsetzung des Projektes war die Intensivierung von Forschungen zur Behandlung der Soldaten des kaiserlichen Heeres und der deutschen Wehrmacht und zur Mentalität der Militärärzte im Zeitalter der Weltkriege. Die Arbeit fokussierte zwei Gebiete: Erstens die Umsetzung von zeitgenössischen gängigen medizinischen Theorien oder Behandlungsschemata in der medizinischen Praxis, zweitens der Einfluss von ideologischen und militärischen Denkmustern auf den medizinischen Bereich und auf die Behandlung und den Umgang mit den Soldaten. Als Fallstudien zur Bearbeitung dieser zwei Aspekte wurden einerseits die seelischen Krankheiten bzw. die Psychiatrie und andererseits die körperlichen Überlastungs- und Erschöpfungskrankheiten ausgesucht und mithilfe bisher vernachlässigter Quellenbestände einer Analyse unterzogen. Die Auswertung signifikanter Bestände der Krankenakten des Ersten Weltkrieges als auch der Leichenöffnungsberichte des Zweiten Weltkrieges (beide Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg) und zusätzliche Forschungen zur Zwischenkriegszeit ergaben in der Zusammenschau eine klare Radikalisierung der Soldatenbehandlung zwischen 1914 und 1945. Für den Ersten Weltkrieg konnte im Gegensatz zur bisherigen Forschung für die Bereiche sowohl der Psychiatrie als auch der Übermüdungs- und Erschöpfungskrankheiten ein disparater Zugang von Fachärzten einerseits und Truppenärzten andererseits ausgemacht werden. Während die Fachärzte im Propagieren kriegspsychiatrischer Zwangstherapien bzw. in der Verharmlosung von Herz-Kreislaufkrankheiten in erster Linie im Sinne der deutschnationalen Kriegszielpolitik agierten, orientierten sich die Truppenärzte unter Anwendung einfacher roborierender Maßnahmen am Patienten und zollten der Idee des Krieges als Hauptkrankheitsverursacher Tribut. Trotz der gewaltigen ideologischen Aufladung des Ersten Weltkrieges als einem Krieg der Kulturen war damit deutschnationales und rassenhygienisches Denken für die Basis nicht unbedingt handlungsleitend und es hielt sich jenseits korporativer Zwänge ein Entscheidungsspielraum für ärztliche Maßnahmen, die nicht am Volkswohl sondern am Individualwohl des Einzelnen ausgerichtet waren. Nach 1918 wurde der Krieg ärztlicherseits glorifiziert und lediglich die fehlende Effektivität der Medizin bemängelt. Daraus zog man die entsprechenden Konsequenzen. Die nationalsozialistische Ideologie spielte den Ärzten in die Hände, indem jetzt nicht nur die Ärzteschaft bis hinab zum Truppenarzt ideologisiert wurde, sondern auch die Patientenbehandlung der Idee der Ausnutzung auch der letzten Ressourcen untergeordnet wurde. Diesem Bild entsprach der Blickwinkel des Patienten, der ebenfalls hochideologisiert war und die Idee der rassenhygienischen Auslese nicht nur auf fremde Völker sondern auch auf sich selbst bezog. Insgesamt sah die deutsche Militärmedizin im Zweiten Weltkrieg ihr Ziel in einer Aufrechterhaltung der basalen Funktionsfähigkeit des Kämpfers, nicht aber in dessen effektiver gesundheitlicher Restitution. Letztlich ist das Projekt mit seinen Ergebnissen anschlussfähig an rezente Arbeiten zur Geschichte (der Medizin) zwischen 1914 und 1945 und zu laufenden Arbeiten über die Geschichte West- und Ostdeutschlands nach 1945, da die vorgelegten Ergebnisse den Ausgangspunkt dieser Arbeiten mit markieren. Ferner fördert das Projekt weitere Studien zur Patientengeschichte und Arbeiten zur Medizingeschichte des 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Probleme im Rahmen der Afghanistan- und Irakkriege stieß es bei den Medien, insbesondere bei Museen sowie Radio und Fernsehen, auf großes Interesse.
Publications
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Rauh, Philipp