Music history on stage: constructions of the musical past in musical theatre
Final Report Abstract
Mozart und die Beatles, Edith Piaf, Stradivaris Geige, Riemanns Musiklexikon – musikhistorische Personen, Ereignisse, Musikpraktiken oder Artefakte sind seit Jahrhunderten Gegenstand von Musiktheater. Musikgeschichte wird also nicht nur geschrieben und gelesen, sondern auch komponiert und gesungen, gespielt oder gehört. Die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe "Musikgeschichte auf der Bühne" fragte danach, wie Musiktheater als Musikgeschichte funktioniert. Wie setzen sich Menschen mit dieser künstlerischen und zugleich historiographischen Praxis auseinander? Gegenstand unserer Arbeit waren Bühnenereignisse des 18.-21. Jahrhunderts – seien es Opern, Operetten, Musicals oder Schauspiele mit Musik –, die Musikgeschichte thematisieren. Als gemeinsame empirische Basis baute die Nachwuchsgruppe eine Repertoiredatenbank auf, die das Musikgeschichtstheater des 18. bis 21. Jahrhunderts möglichst weiträumig erfasst. Die Endversion der Datenbank enthält 1069 Einträge und ist seit April 2022 online (https://uol.de/musikgeschichte-aufder-buehne/datenbank). Sie ist nach Thema, Autor*in, Titel, Genre, Jahr und Aufführungsort durchsuchbar. Ein Themenregister ermöglicht es zudem, auf das gesamte Themenspektrum der Datenbank zuzugreifen. So zeigt sich etwa, dass Musikgeschichte im Medium Musiktheater in ihrer ganzen Breite verhandelt und vermittelt wird, von den mittelalterlichen Troubadouren bis in die Gegenwart von Pop, Rock, Jazz und Neuer Musik. Musikgeschichte auf der Bühne ist ein internationales Phänomen, Schwerpunkte des erfassten Repertoires liegen in Europa und den USA. Die Repertoiredatenbank erschließt die Forschungsdaten der Nachwuchsgruppe für weitere Studien. Methodisch verband die Forschungsgruppe Ansätze der historischen Musikwissenschaft (u.a. Musiktheaterforschung, Musikhistorik, musikalische Analyse), der Historiographie- und Wissensgeschichte sowie der Public History, der Sound Studies, der Theaterwissenschaften und der Ethnographie. So entwickelten wir mit dem Begriff Musikgeschichtstheater ein eigenes Konzept für diese Form der Geschichtsschreibung, das sich auch allgemeiner geschichtstheoretisch fruchtbar machen lässt. In Teilprojekten zu Mozart auf der Bühne (einer Zentralfigur des Musikgeschichtstheaters seit dem 19. Jahrhundert), zu Musikgeschichte im populären Musiktheater nach 1970 (mit einem Schwerpunkt auf Chanson- und Jazzsängerinnen) und einem im Projektverlauf neu entwickelten Teilprojekt zur Darstellung von Komponistinnen im Musiktheater analysierten wir Repertoireentwicklung, Geschichtsbegriffe, Erzählstrategien, Authentizitätskonstruktionen, Genderkonzepte und Aufführungen von Musikgeschichtstheater sowie die Erfahrungen der beteiligten Akteur*innen. Jenseits dessen konnten wir zeigen, dass und wie im Musiktheater nicht nur Musikgeschichte, sondern vielfach auch andere historische Phänomene (wie z.B. die Reformation, die Französische Revolution oder Wissenschaftsgeschichte) musikalisch verhandelt werden. In der projekteigenen Buchreihe sind bereits zwei vielrezipierte Bände erschienen. Monographien zu den jeweiligen Teilprojekten werden folgen. Das auf Grundlage von Archivrecherchen von Studierenden entwickelte Musiktheaterstück Heimat im Koffer (UA Oldenburg 2019) erschloss als Teil der von uns mitverantworteten Forschungs- und Theaterwerkstatt „Musik im Exil“ das Thema Musikgeschichte auf der Bühne zudem für eine breite Öffentlichkeit. Dieses künstlerisch-wissenschaftliche Projekt ermöglichte, mit Studierenden, Lehrenden, Forscher*innen und Musiker*innen praktisch zu erproben und zugleich wissenschaftlich zu reflektieren, wie Musikgeschichte auf der Bühne entsteht und funktioniert. Insgesamt zielte die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe darauf, besser zu verstehen, wie musikhistorisches Wissen entsteht. Wie interagieren in der Musikgeschichtsschreibung Klang und Wahrnehmung, Spiel und Sprache, Kunst und Wissenschaft? Die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe leistete damit auch einen Beitrag zu einer neuen Wissensgeschichte der Künste.
Publications
- Klang als Geschichtsmedium. Perspektiven für eine auditive Geschichtsschreibung (Musikgeschichte auf der Bühne 1), Bielefeld: transcript 2018
Anna Langenbruch (Hg.)
(See online at https://doi.org/10.1515/9783839444986) - „Wenn Geschichte klingt. Musikgeschichte auf der Bühne als geschichtstheoretischer Impuls“, in: Anna Langenbruch (Hg.): Klang als Geschichtsmedium. Perspektiven für eine auditive Geschichtsschreibung (Musikgeschichte auf der Bühne 1), Bielefeld: transcript 2018, S. 73-98
Anna Langenbruch
(See online at https://doi.org/10.1515/9783839444986-004) - „Wissenschaftsopern: Gegenwartsdiagnosen zwischen Kunst, Wissenschaft, Ethik und Gender“, in: Thomas Alkemeyer, Nikolaus Buschmann und Thomas Etzemüller (Hg.): Gegenwartsdiagnosen. Kulturelle Formen gesellschaftlicher Selbstproblematisierung in der Moderne, Bielefeld: transcript 2019, S. 497-514
Anna Langenbruch
(See online at https://doi.org/10.1515/9783839441343-025) - „Performing Music History: Interferenzen zwischen Rezeptionstheorie, (Musik-)Geschichte und Aufführung“, in: Michele Calella und Benedikt Leßmann (Hg.): Zwischen Transfer und Transformation – Horizonte der Rezeption von Musik, Wien: Hollitzer Verlag 2020, S. 265-288
Anna Langenbruch
(See online at https://doi.org/10.2307/j.ctvt6rjq6.14) - Musikgeschichte auf der Bühne – Performing Music History (Musikgeschichte auf der Bühne 2), Bielefeld: transcript 2021
Anna Langenbruch, Daniel Samaga und Clémence Schupp-Maurer (Hg.)
(See online at https://doi.org/10.1515/9783839457467) - „Exilgeschichten auf der Bühne. Gedanken aus der Werkstatt“, in: Anna Langenbruch, Daniel Samaga und Clémence Schupp- Maurer (Hg.): Musikgeschichte auf der Bühne – Performing Music History (Musikgeschichte auf der Bühne 2), Bielefeld: transcript 2021, S. 399-422
Naemi Flemming, Anna Langenbruch, Volker Schindel, Myrin Sumner und Arne Wachtmann
(See online at https://doi.org/10.1515/9783839457467-022) - „Lieder denken und Klänge äußern: Zur performativen Auseinandersetzung mit Musikgeschichte. Einleitung“, in: Anna Langenbruch, Daniel Samaga und Clémence Schupp-Maurer (Hg.): Musikgeschichte auf der Bühne – Performing Music History (Musikgeschichte auf der Bühne 2), Bielefeld: transcript 2021, S. 17-35
Anna Langenbruch
(See online at https://doi.org/10.1515/9783839457467-002) - „‚Ich hab noch einen Trolley in Shanghai‘. Irmgard Knef, ein Spiel mit Chansongeschichte und Genderperformance“, in: Anna Langenbruch, Daniel Samaga und Clémence Schupp-Maurer (Hg.): Musikgeschichte auf der Bühne – Performing Music History (Musikgeschichte auf der Bühne 2), Bielefeld: transcript, 2021, S. 227-242
Clémence Schupp-Maurer
(See online at https://doi.org/10.1515/9783839457467-013) - „‚…eine wirkliche Begebenheit aus dem Leben des jungen Mozart‘. Zur Authentizität des Anekdotischen in Stücken über W. A. Mozarts Kindheit“, in: Anna Langenbruch, Daniel Samaga und Clémence Schupp-Maurer (Hg.): Musikgeschichte auf der Bühne – Performing Music History (Musikgeschichte auf der Bühne 2), Bielefeld: transcript 2021, S. 245-258
Daniel Samaga
(See online at https://doi.org/10.1515/9783839457467-014) - „Un spectateur historiographe? Jouer, voir, écouter l’Histoire de la musique“, in: Anthony Rescigno, Sophie Turbé u. Élodie Valkauskas (Hg.): Le public dans tous ses états, Nancy: Presses Universitaires de Nancy, 2022, S. 121-133
Clémence Schupp-Maurer