Human Dignity and Minimal Subsistence: The Possibilities of Legitimation and Limitation of a Normative Minimal Standard
Final Report Abstract
Das von der DFG geförderte Forschungsprojekt „Menschenwürde und Existenzminimum“ hat aktuelle philosophische Konzepte der Menschenwürde vergleichend daraufhin untersucht, welche Deutung des Prinzips der Menschenwürde das jeweilige Konzept zugrunde legt und ob das Konzept einen Beitrag zur Stratifikation normativer (ethischer bzw. rechtlicher) Ansprüche leistet. Letztere Frage drängt sich vor allem dann auf, wenn die Menschenwürde zur Begründung oder Herleitung eines individuellen Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum herangezogen wird, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung des sogenannten Hartz IV-Urteils vom 2. Februar 2010 vorgelegt und in seiner Spruchpraxis durch zwei weiteren Entscheidungen, nämlich zum Asylbewerberleistungsgesetz am 18. Juli 2012 und jüngst im Blick auf die Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Bezug von Arbeitslosengeld II am 5. November 2019 fortgeschrieben hat. In solchen Fällen stellt sich nämlich die Frage, ob die sozialen Leistungsansprüche, die sich aus einem Rekurs auf die Menschenwürde ergeben mögen, auch begrenzbar sind. Bei den untersuchten philosophischen Strömungen und Ansätzen handelt es sich (a) um Demütigungstheorien menschlicher Würde von Avishai Margalit, Ralf Stoecker, Peter Schaber und Arndt Pollmann, (b) um humanspezifische Eigenschafts- und Fähigkeitstheorien menschlicher Würde von Amartya Sen und Martha C. Nussbaum einerseits, von Alan Gewirth, Derik Beyleveld und Klaus Steigleder andererseits, sodann (c) um die Statustheorien von Stephen Darwall und Rainer Forst sowie (d) um die ethische Selbstverpflichtungstheorie Ronald Dworkins. Die Bestimmung des normativen Gehaltes der Idee der Menschenwürde mit Hilfe von Akten der Demütigung hat zwar den Vorzug phänomenologischer Sensibilität angesichts kontextspezifischer Armuts- und Deprivationserfahrungen, leidet aber auf einer allgemeinen Ebene an einem Mangel an klaren Kriterien, mit denen menschenwürdesignifikante Formen der Demütigung von anderen Demütigungen zu unterscheiden sind. In Bezug auf Armut kommt hinzu, dass die normativen Implikationen einer Demütigungstheorie nicht bis zur Forderung der Bekämpfung von Armut vorstoßen. Immanent belassen sie es vielmehr bei einem Verdikt der demütigenden Akte. Unter den vielen Varianten des capability approach verspricht insbesondere der Fähigkeitenansatz Martha C. Nussbaums hier Abhilfe, da er die Armutsschwelle als Schwelle der Entwicklung humanspezifischer Fähigkeiten bestimmt, eine menschenwürdige Lebensführung oberhalb dieser Schwelle ansiedelt und eine Verletzung der Würde des Menschen darin erblickt, dass diesem nicht über die Schwelle geholfen wird. Probleme bereitet Nussbaums Ansatz vor allem die zirkelhafte Deutung von humanspezifischen Fähigkeiten und Menschenwürde sowie die Unbestimmtheit derjenigen Schwelle, bis zu der eine menschenwürdige Lebensführung möglich sein soll. Der Verdacht eines vitiösen Zirkels ließe sich dadurch ausräumen, dass mit Gewirth oder auch der Diskurstheorie bestimmte Fähigkeiten (Handlungsoder Vernunftfähigkeiten) normativ besonders ausgezeichnet werden. Damit rückt das Problem der Inklusion in den Vordergrund: Was ist mit denjenigen, die nicht (hinreichend) über diese Fähigkeiten verfügen? Die Herausforderung einer Stratifikation moralischer Leistungsansprüche scheint auf den ersten Blick in Dworkins Spätwerk eine elegante Lösung zu erfahren, sofern der dort vollständig entfaltete ethische Liberalismus eine hybride Deutung der Idee der Menschenwürde vorschlägt: Einerseits für eine gelingende Lebensführung im ethischen Sinne selbst verantwortlich, sollen wir doch zu anderen in einem moralischen Verhältnis gegenseitiger Achtung stehen, die garantiert, dass jede Person das Leben einer jeden Person wichtig nimmt und ggf. hilfreich zur Seite springt. Die Bekämpfung von Armut wäre aus dieser Sicht primär eine Eigenleistung jeder Person, wobei aber für den Bedarf, der auf nicht selbst zu verantwortende Ursachen rückführbar ist, eine Solidargemeinschaft aufzukommen hätte. Die normativen Implikationen der Idee der Menschenwürde könnten Leistungsansprüche autorisieren und zugleich begrenzen. Es gibt allerdings berechtigte Zweifel, ob Dworkins Brückenschlag von der Ethik zur Moral gelingt. Ein aussichtsreicherer Vorschlag lässt sich mit Hilfe von Statustheorien menschlicher Würde erarbeiten. Allerdings sieht dieser Vorschlag einen unverlierbaren Kern menschlicher Würde vor, der es auch im Falle des Scheiterns einer Person an ihrer ethischen Selbstverpflichtung nicht gestattet, die Solidargemeinschaft aus deren moralischen (ggf. rechtlichen) Leistungsverpflichtungen zu entlassen.
Publications
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