Moving heads, stable worlds: estimation, compensation, and calibration during active self-motion
Final Report Abstract
Im Projekt „Sich bewegende Köpfe, stabile Welten: Schätzung, Kompensation und Kalibrierung während aktiver Eigenbewegung“ wurde untersucht, wie unterschiedliche sensorische und motorische Information genutzt wird, um Eigen- und Umweltbewegung wahrzunehmen. Bei aktiver Eigenbewegung spielt dabei die Abschätzung der selbst verursachten Bewegung eine besondere Rolle, da aus ihr Vorhersagen über die zu erwartenden sensorischen Rückmeldungen generiert werden können. Durch Integration dieser Vorhersagen mit der sensorischen Information kann die Wahrnehmung verbessert werden. Die Vorhersagen können aber auch mit den Sinneseingängen verglichen werden, um Diskrepanzen zu erkennen, die Rückschlüsse auf externe Einflüsse oder Kalibrationsfehler erlauben. Im Projekt konnte nun gezeigt werden, dass die Integration unterschiedlicher Modalitäten einerseits und die Erkennung von Diskrepanzen andererseits nicht gleichzeitig ablaufen, sondern gegeneinander abgewogen werden und es, zumindest in den im Projekt unternommenen Experimenten, von motorischen Eigenbewegungssignalen abhängt, ob sensorische Konflikte gut erkannt werden können. Weiterhin wurde die Lokalisation von raumfesten Signalen nach der Ausführung aktiver oder passiver Kopfdrehungen untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Lokalisation die geringsten Fehler nach passiven Drehungen aufwies, während die Größe aktiver Bewegungen überschätzt wurde. Die Resultate ließen sich durch die Annahme erklären, dass sensorische und motorische Signale für diese Verhaltensleistung immer integriert werden, selbst wenn große Diskrepanzen auftreten. Auch während aktiver Lokomotion, sei es beim Gehen oder Laufen, stehen gleichzeitig motorische und sensorische Signale zur Verfügung, die zur Schätzung der Kopfbewegung genutzt werden können. Aus der Analyse der Reproduzierbarkeit der Kopfbewegung während des Schrittzyklus konnte gefolgert werden, dass bei schnellem Laufen oder Gehen die selbstverursachten motorischen Signale eine gute Vorhersage der Kopfbewegung erlaubt und daher der Einfluss sensorischer Signale, z.B. aus dem Gleichgewichtssystem, weniger stark gewichtet wird. Damit konnte erstmals schlüssig erklärt werden, warum Patienten mit Schäden des Vestibularsystems beim langsamen Gehen leicht das Gleichgewicht verlieren, aber fast ohne Probleme laufen können. Eine weitere mittlerweile erschienene Studie konnte darüber hinaus die Vorhersage bestätigen, dass selbst innerhalb eines Schrittzyklus die Gewichtung von sensorischer und motorischer Information für die Bewegungsschätzung variiert und Sinnesreize weniger Einfluss haben, wenn motorische Information ein guter Prädiktor ist. Die Resultate dieser Studien und die theoretischen Überlegungen dazu, wie sich aus der Kombination von selbst generierten motorischen Eigenbewegungssignalen und sensorischen Rückmeldungen eine Schätzung der Eigenbewegung bilden lässt, konnten im letzten Teil des Projekts auf klinische Untersuchungen angewandt werden. Bei Patienten mit funktionellem Schwindel können keine physiologischen Schäden, beispielsweise am Gleichgewichtsorgan, festgestellt werden, obwohl die Patienten über Schwindelsymptome klagen. Nach den Modellkonzepten des Projekts kann es jedoch auch zur Wahrnehmung von Eigen- oder Umweltbewegung kommen, wenn zwar die sensorische Rückmeldung korrekt ist, aber eine Diskrepanz zur Vorhersage aus den eigenen motorischen Kommandos besteht, weil z.B. das interne Modell der eigenen Bewegung falsch kalibriert ist. Wenn diese Diskrepanz bei Kopfdrehung als externe Störung interpretiert wird, ähnlich wie bei umgekehrt bei einer Schädigung des Gleichgewichtsorgans, dann wird Schwindel wahrgenommen. Experimentell konnte gezeigt werden, dass sich aktive Kopfbewegungen von Patienten und gesunden Probanden entsprechend unterschieden. Die Erklärung, dass funktioneller Schwindel also auf einer fehlerhaften Verarbeitung von Wahrnehmungsreizen beruhen könnte, wurde nach Pressemitteilungen der beteiligten Universitäten auch in diversen Publikumsmedien berichtet. Insgesamt lieferte das Projekt einige, auch für das Verständnis klinischer Symptome, wichtige neue Erkenntnisse zum Zusammenspiel sensorischer und motorischer Information für die Schätzung von Eigen- und Umweltbewegung. Die weitere Anwendung der hier erarbeiteten theoretischen Konzepte auf klinische Fragestellungen und deren experimentelle Untersuchung erscheint vielversprechend.
Publications
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