Project Details
Projekt Print View

Netzwerkkommunikation im Internet. Diskurslinguistische und medienwissenschaftliche Analyse selbstorganisierter Formen der Wissensproduktion und -distribution in Weblogs und Wikis

Subject Area General and Comparative Linguistics, Experimental Linguistics, Typology, Non-European Languages
Term from 2006 to 2011
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 27481477
 
Final Report Year 2011

Final Report Abstract

Gegenstand des Projektes waren kollaborative Formen der Wissensproduktion in Wikipededia und in Weblogs. Exemplarisch wurden dafür die Diskurse zu den beiden Themen „Tsunami“ und der virtual reality Plattform „Second Life“ ausgewählt. Beide Diskurse wurde in historischer Perspektive über mehrere Jahre rekonstruiert und netzwerkanalytisch untersucht. Dafür wurde für beiden Themenfelder mit den eigens entwickelten Verfahren Corpora generiert, die mit medienwissenschaftlichen und linguistischen Verfahren untersucht wurden. Angesichts des neuartigen Gegenstandsbereichs wurde die beiden Zugriffe durch eine entzwerkanalytische Verfahrensweise erweitert. Dieser neuartige Ansatz einer Diskursanalyse ist in der Publikation Bucher/Erlhofer/Kallas/Liebert (2008) ausführlich dargestellt. Die exemplarische Analyse der Onlinekommunikation in Wikis und Weblogs hat gezeigt, dass im Internet derzeit alternative Formen einer Wissensordnung entstehen, die Netzwerkstrukturen aufweisen und nicht mehr top-down organisiert sind wie die klassischen Wissenskulturen, sondern bottum-up mit dominanter Laien-Beteiligung und oft ereignisbezogen sind. Eine Besonderheit der neuen Wissensordnungen ist ihre hohe Dynamik, was sowohl die Analyse der Weblog-Kommunikation als auch der Wiki-Kommunikation gezeigt hat. Liegt ein entsprechender Auslöser vor, so beginnt in kürzester Zeit eine Form der Wissensproduktion, wie sie von ihrer Dynamik her weder in den klassischen Massenmedien noch in den klassischen Publikationsmärkten möglich ist. Mit dem Prinzip von der Stärke schwacher Verbindungen8 liefert die Netzwerktheorie eine Erklärung für diese neue Form spontaner Wissensordnungen.9 Starke Verbindungen zeichnen sich durch hohe Verbindlichkeit, Kommunikationsdichte und Stabilität aus, schwache Verbindungen sind wenig verbindlich, diskontinuierlich und können leicht abgebrochen oder unterbrochen werden. Netzwerke mit starken Verbindungen sind stabil und schwer zugänglich und weisen hohe Übereinstimmung in den Wissensbeständen und Meinungen auf, Netzwerke mit schwachen Verbindungen sind dagegen flexibel, wandelbar, haben dissonante Wissensbestände und sind für Außenstehende leicht zugänglich. Die Stärke der schwachen Verbindungen liegt netzwerkanalytisch gesehen darin, dass sie Brücken zu neuen Netzwerken eröffnen und damit die Begrenztheit und die Redundanz des Wissens innerhalb geschlossener Netzwerke überwinden können. Vereinfacht könnte man sagen: Schwache Verbindungen eröffnen die Möglichkeit zur Innovation und tragen im Unterschied zu starken Verbindungen eher zur Makrointegration bei. Zusammenfassend lässt sich für online-basierte Wissenskommunikation festhalten: Selbstorganisierte Open-Source-Kommunikation führt nicht zum Informationschaos, sondern kann aufgrund ihres Netzwerkcharakters sehr wohl strukturierte Wissensordnungen konstituieren. Das Prinzip des präferierten Anschlusses und das Power-Law, wie sie für offene Netzwerke typisch sind, haben die paradoxe Konsequenz, dass die Selbstorganisation der Online-Kommunikation nicht unbedingt zu demokratischen, enthierarchisierten Kommunikationsstrukturen führen muss, sondern Meinungsführerschaft entsteht, wie sie auch im Falle der klassischen Massenmedien vorliegt. Virtuelle Netzwerk- Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass sie aus einer Verbindung des One-to-Many-Broadcast-Modells und des Many-to-Many-Netzwerkmodells konstituiert wird. Die demokratische Stärke der schwachen Verbindungen liegt gerade darin, dass die Akteure im Netzwerk dieses zwar leicht konstituieren, es aber ebenso leicht wieder auflösen können. Die Netzwerk-Perspektive ist für die Beschreibung von Kommunikationsformen im Internet deshalb geeignet, weil sie die Gleichzeitigkeit von Stabilität (= Struktur) und Labilität (= Kommunikationsdynamik) von starken und schwachen Verbindungen erfassen kann.

Publications

  • Netzwerk-Kommunikationen im Internet: diskursiver Mehrwert oder kommunikatives Chaos? In: OBST Frühjahr 2007: 9-33
    Hans-Jürgen Bucher
  • 2008: Artikelentstehung in der Wikipedia. Zu Textkonstitutionsmustern und Schreibprozessen bei Wikipedia-Artikeln
    Kallass, Kerstin
  • 2008: Blogroll-Nutzung: Erste Befunde der Blogroll-Studie 2008
    Bucher, Hans-Jürgen / Erlhofer, Sebastian
  • 2008: Netzwerkkommunikation und Internet-Diskurse: Grundlagen eines netzwerkorientierten Kommunikationsbegriffs. In: Zerfaß, Ansgar / Welker, Martin / Schmidt, Jan (Hrsg.): Kommunikation, Partizipation und Wirkungen im Social Web. Band 1: Grundlagen und Methoden: von der Gesellschaft zum Individuum, Köln: 41-61
    Bucher, Hans-Jürgen / Erlhofer, Sebastian / Kallass, Kerstin / Liebert, Wolf-Andreas
  • 2009: Das Internet als Netzwerk des Wissens. Zur Dynamik und Qualität von spontanen Wissensordnungen im Web 2.0. In: Fangerau, Heiner / Halling, Thorsten. (Eds.): Netzwerke. Allgemeine Theorie oder Universalmetapher in den Wissenschaften? Ein transdisziplinärer Überblick, Bielefeld, transcript Verlag: 133-171
    Bucher, Hans-Jürgen
 
 

Additional Information

Textvergrößerung und Kontrastanpassung