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The appropriation of world knowledge. Adelbert von Chamisso's world tour (transcription, analysis, interpretation)

Subject Area German Literary and Cultural Studies (Modern German Literature)
History of Science
Term from 2015 to 2020
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 266360955
 
Final Report Year 2020

Final Report Abstract

In diesem Projekt wurden erstmals die von 1815 bis 1818 verfassten Originaltagebücher der Weltreise des Naturforschers und Dichters Adelbert von Chamisso erschlossen und erforscht. Das Projekt erbrachte zugleich wichtige literaturgeschichtliche und wissenschaftshistorische Einsichten in die Zusammenhänge von Naturforschung und Reiseliteratur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die detaillierte Erschließung und Auswertung der im Projekt transkribierten und für eine kommentierte Edition aufbereiteten handschriftlichen Manuskripte zeigten die in späteren und anderen (Welt-)Reiseberichten nicht sichtbare Hervorbringung eines auf die gesamte Welt bezogenen geographischen, naturkundlichen und ethnographischen Wissens sowie die dabei erkennbaren Wahrnehmungs-, Schreib- und Erkenntnisprozesse. Zugleich wurden die im Tagebuch beschriebenen und gesammelten zoologischen und botanischen Objekte identifiziert und mit den in Berliner Museen und Archiven noch vorzufindenden naturkundlichen Objekten abgeglichen. Auf diese Weise wurde erstmals an einem prominenten Beispiel die konkrete reiseliterarische Praxis einer naturkundlichen Expedition in den Blick genommen. Zentral war die Entdeckung, dass sich im Schreiben während der Reise vielfältige Schreibverfahren bildeten, die zugleich die Erkenntnisweisen präformierten und steuerten: etwa die literarische Ausformung naturkundlicher Beobachtungen, die pflanzengeographische Erfassung mittels Listen, Fundorten und Beschreibungen, die Umformulierungen und Streichungen, die oftmals erst später erfolgte systematische Ausarbeitung, die unterschiedlichen ethnographischen Beschreibungsformen, die wachsende Aufmerksamkeit für indigene Kulturen der Südsee, die Entstehung einer kulturkritischen, erst in den späteren Reiseberichten verstärkt ‚romantisierenden‘ Perspektive. Sichtbar wurde zugleich die Genese eines Naturforschers und eines naturkundlichen Programms während der Reise, ebenso die Verflechtung und das institutionelle Netzwerk, das die Reise ermöglichte und während der Reise in zahlreichen Referenzen und Bezugnahmen fortgeführt und ausgebaut wurde. Das zweifellos für die Chamisso-Forschung, aber auch für die Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts bedeutsamste Ergebnis des Forschungsprojekts ist der Nachweis, dass es sich bei diesen Tagebüchern nicht um eine erste Skizzensammlung des wenige Jahre danach publizierten Expeditionsberichts handelt, sondern dass die Reisetagebücher bereits die Ergebnisse und die Schreibverfahren der beiden späteren Reiseberichte vorbereiten und vorwegnahmen. Statt eine rudimentäre, fragmentarische und defizitäre Form der Reiseliteratur zu sein, zeigt sich sowohl im Hinblick auf die reiseliterarischen Verfahren als auch in Bezug auf die naturkundlichen und wissenschaftsgeschichtlichen Erkenntnisse, dass die ‚Originaltagebücher‘ eine reiseliterarische Form sui generis darstellen. An ihnen lässt sich nicht nur die Produktion von naturkundlichem und ethnographischen (Welt-)Wissen verfolgen, sie enthalten zugleich auch sämtliche Schreib- und Wissensformen, die sich in späteren Reisberichten in anderen Hinsichten, Funktionen und Kontexten ausdifferenzierten. Sie mögen deshalb fortan als ein ‚Hauptwerk‘ des Reiseschriftstellers und Naturforschers Chamisso anerkannt werden. Das Forschungsprojekt mündet in eine ausführliche Edition der Weltreisetagebücher (Text- und Kommentarband), die im Herbst/Winter 2020 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erscheint. Ihre Präsentation und Verbreitung (auch im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung und mit entsprechender Werbung) sollte aufgrund der Bedeutung dieser Schriften zugleich eine entsprechende Resonanz in der literarisch-kulturellen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit erzielen können.

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