Seit über 100 Jahren lagert das reichhaltige Fundmaterial des eisenzeitlichen Urnenfriedhofs von Nienbüttel im Magazin des ehemaligen Provinzialmuseums und heutigen Landesmuseums in Hannover. Durch die Vielzahl an Waffen und römischen Gefäßen in Forscherkreisen sehr wohl bekannt, kam es dennoch nie zu einer wissenschaftlichen Aufarbeitung - aufgrund seiner wechselhaften Ausgrabungsgeschichte galt Nienbüttel sogar als nicht auswertbar. In der Tat gestaltete sich die Rekonstruktion der von menschlichen Enttäuschungen und Zerwürfnissen begleiteten Erforschung des Platzes sowie der teils nebulösen Ereignisse bezüglich des Verbleibs von Dokumenten und der Fundinventarisierung als ein schwieriges Unterfangen und kleinteiliges Puzzle mit diversen Überraschungen. Dabei erlaubten es erst die digitale Erfassung des gesamten verfügbaren Quellenmaterials und der gegenseitige Abgleich im Rahmen des DFG-Projekts, den Ablauf der zwischen 1901 und 1911 durchgeführten Ausgrabungen detailliert zu schildern, den Ausgräbern näher zu kommen, teils fälschliche Urteile zu korrigieren und nicht zuletzt die überlieferten Fundkomplexe kritisch zu beleuchten. Einen wichtigen Schlüssel bildete die Entdeckung eines Originalplans aus dem Jahr 1906 und die Auswertung der bislang vollkommen unbeachteten, überaus umfangreichen Korrespondenz. Als weitaus größer hat sich zudem der Bestand an noch existierenden Grabgefäßen erwiesen, die aus dem zerscherbten Material zusammengesetzt werden konnten. Aus dieser Materialfülle ist ein kommentierter Katalog zu den ungefähr 500 Fundkomplexen entstanden, der nun erstmals den Fundplatz von Nienbüttel der Wissenschaft zugänglich macht. Nienbüttel erweist sich dabei nicht als "normales" Gräberfeld, sondern als ein Platz vielfältiger ritueller Kommunikation einer besonderen sozialen Gruppe. Ausdruck dessen sind zahlreiche Deponierungen von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, die nicht primär mit den Bestattungen in Zusammenhang stehen. Zudem bilden auffällige, tief eingelassene Steinkonstruktionen, die womöglich ehemals auch oberirdisch architektonisch sichtbar waren, einen elementaren Bestandteil des Platzes und gliederten diesen auch räumlich. Die aktuelle Auswertung macht nun all diese Komponenten sichtbar und zeigt auf dem Gräberfeld, das rund 250 Jahre genutzt wurde und gegen 200 n. Chr. aufgegeben wurde, komplexe Handlungen einer offensichtlich stark militärisch geprägten Gemeinschaft auf. Die archivalische Auswertung gab Anlass für die Initialisierung neuer Untersuchungen vor Ort. So erfuhr die Suche nach der Lage der Altgrabungen zugleich eine große mediale Aufmerksamkeit in der Presse und im Radio sowie in einem an die breite Öffentlichkeit gerichteten Vortrag. Durch eine geomagnetische Prospektion und Sondagegrabungen ist nun bekannt, dass noch rund 75 Prozent des Bestattungsplatzes unerforscht sind und sich damit die einmalige Gelegenheit ergibt, zukünftig mit neuen Methoden die Ergebnisse der Altgrabungen zu evaluieren und weitere wichtige Erkenntnisse zu gewinnen.