Trotz des durchaus vorhandenen Interesses der Ostkirchenhistoriker an geistlicher Vaterschaft („Starzentum“) und der hesychastischen Tradition der Ostkirche ist die entscheidende Gestalt, die hinter der Neuetablierung dieser Phänomene in der neuzeitlichen Orthodoxie stand, Paisij Veličkovskij, bisher nicht umfassend erforscht und im deutschsprachigen Raum kaum wahrgenommen worden. Die Untersuchung besteht aus zwei Teilen: 1. einem Quellenband, der die auf Kirchenslawisch verfassten Quellen in deutscher Übersetzung anbietet; und 2. einem Biographie-Band, der u.a. die gesamte Forschungsliteratur (sowohl der „russischen“ als auch der „rumänischen“ Prägung) berücksichtigt, eine Reihe von Spezialfragen beleuchtet und mit einem umfangreichen Katalog-Anhang (Auflistung von Quellen in Kirchenslawisch, Rumänisch und Griechisch samt den Informationen zu den Aufbewahrungsorten, ggfs Drucken und Übersetzungen sowie Inhaltsangaben) versehen ist. Der biographische Teil deckt u.a. eine Reihe von Fehldeutungen in Bezug auf Paisij Veličkovskijs auf wie z.B. eine Unterschätzung der Rolle der Kiewer Akademie für sein späteres Werk, die Interpretation seiner Polemik mit Atanasie Moldoveanul sowie der Episode des Hegumenats Paisijs im athonitischen Kloster Simonopetra und der Ursachen des Weggangs der paisianischen Bruderschaft vom Athos u.v.m. Näheres Hinsehen zeigt, dass Paisij entgegen der verbreiteten Meinung kaum als der Wiederbeleber des Jesus-Gebets bezeichnet werden kann, da diese Praxis in Kleinrussland, Galizien, Moldau und Walachei wohl ununterbrochen lebte. Er kann vielmehr als Lehrer des inneren ‚Tuns‘ – des Betens und Lesens – beschrieben werden. Seine auffällige Konzentration auf das innere Tun, seine (vor dem Hintergrund der sich im Ottomanischen Reich herausbildenden orthodoxen Nationalismen) einmalige übernationale Haltung, seine fast moderne Herangehensweise an die Sammlung, Analyse und Übersetzung von patristischen Texten – all dies führt nicht nur zur Frage nach seinen patristischen Quellen, sondern auch nach der seiner Umgebung, nämlich nach Europa des 18. Jhs. Ein besonderes Augenmerk gilt der Vorstellung Paisijs von der geistlichen Vaterschaft und seinem Gehorsamsverständnis. Zum Ausüben des Gehorsams schuf Paisij das System einer amtlichen (d.h. im Auftrag des Abtes zu erfolgenden), nur an Mönche adressierten Seelsorge. Dies unterscheidet sein Konzept wesentlich vom späteren charismatisch-prophetisch gedeuteten und an Laien adressierten ‚Starzentum‘ der Optina Pustyn‘. Vor dem Hintergrund seines methodisch durchdachten Vorgehens sowie der Ansätze von historisch-kritischem Denken könnte Paisij Veličkovskij als der slawische Pionier der Patrologie betrachtet werden. Sein Leben und Werk stellt ein Neudenken und -verwirklichen von Kategorien der asketischen Theologie der Alten Kirche unter den geistigen Bedingungen und vor dem historischen Hintergrund der Neuzeit dar.