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Numerische Makroästhetik in der Literatur: Theorie und Evidenz (historische Dokumentation)

Fachliche Zuordnung Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Förderung Förderung von 2006 bis 2011
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 22505116
 
Erstellungsjahr 2011

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ein wichtiges Ergebnis der transepochal und transnational angelegten Projektarbeit, die auf ein Kompendium mit 100 Artikeln zielt, ist der valide Nachweis einer numerologisch-tektonischen Kontinuität von der antiken bis zur postmodernen Literatur. Für die Antike sei hier nur auf die Epen Homers verwiesen, die von den alexandrinischen Philologen in 24 Gesänge nach den Buchstaben des griechischen Alphabets eingeteilt wurden; letztere gliederten auch das Geschichtswerk Herodots nach den 9 Musen in 9 Bücher. Eine große Wirkung auf die Literatur von Mittelalter und Neuzeit war der dodekadischen Disposition von Vergils ‚Aeneis‘ beschieden, während sich die enneadische Gliederung der Werke des Philosophen Plotin bis in die Anlage und Zitationsweise moderner Editionen durchhält. Nicht zu vergessen sind numerische Organisationsformen der Bibel wie der Pentateuch, die abecedarischen Klagelieder des Jeremias, die 150 Psalmen mit Subgliederungen (7 Bußpsalmen, 15 Stufenpsalmen) und die 4 Evangelien, deren Aufbauzahlen im Mittelalter häufig Gegenstand theologischer Zahlenallegorese sind. Aus dem Mittelalter, das eine Schwerpunktbildung im 9. Jahrhundert erkennen lässt, ragen im Bereich der lateinischen Literatur Cassiodor, Hrabanus Maurus und Raimundus Lullus heraus, während die volkssprachige Literatur durch Otfrid von Weißenburg und Gottfried von Straßburg vertreten wird. Aus der frühen Neuzeit (Renaissance, Barock) sind insbesondere Dante mit den hundert (3 x 33 + 1) Gesängen seiner ‚Commedia‘, Petrarca mit den dem Jahresverlauf entsprechenden 366 Gedichten seines ‚Canzoniere‘ und Boccaccio, der in seinem ‚Decameron‘ 10 junge Leute an 10 Tagen jeweils 10 Geschichten erzählen lässt, zu nennen. Aus dem 17. Jahrhundert sei John Milton erwähnt, der sein ‚Paradise lost‘ (2. Aufl. von 1674) ‚vergilianisch‘ in 12 Bücher disponiert, während Goethe im 18. Jahrhundert in ‚Hermann und Dorothea‘ dem ‚hesiodschen‘ Modell der Musengliederung folgt. Im 19. Jahrhundert behauptet sich die numerische Makroästhetik in der Höhenkammliteratur: Während Honoré de Balzac mit dem Plan seiner ‚Cent Contes drôlatiques‘ (10 Gruppen zu 10 Geschichten) traditionellen Vorbildern folgt, entwickelt Jean Paul erfinderisch neue Gliederungsmodelle (z. B. Hundsposttage, Zettelkästen, Zyklen), und das gilt auch für Lewis Carroll, der in ‚Through the Looking glass and what Alice found there‘ ein Schachspiel als Konstruktionsmodell für den Roman wählt. Zwar knüpfen auch Vertreter der klassischen Moderne (Stefan George, Thomas Mann, James Joyce) an Traditionen numerischer Makroästhetik an, doch entsteht ein neuer Boom erst nach dem 2. Weltkrieg. Lawrence Durrell unterlegt seinem ‚Alexandria Quartet‘ ein Aufbaumodell nach der Relativitätstheorie (3 Raumdimensionen + 1 Zeitdimension), während Umberto Eco seinen Roman ‚Il Pendolo di Foucault‘ nach den Sephirot der Kabbala in 10 Teile und infrastrukturell nach einer Symbolzahl der Rosenkreuzer in 120 Kapitel gliedert.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Text als Architektur – Architektur als Text. In: Architektur wie sie im Buche steht. Fiktive Bauten und Städte in der Literatur, hg. von Winfried Nerdinger, Ausstellungskatalog, München 2006, S. 113-127, 442-444.
    Ulrich Ernst
  • Musikalische Komposition als narrative Makrostruktur: Hermann Hesse – Anthony Burgess – Jonathan Littell. Zur medialen Kontextualisierung des modernen Romans. In: Comparatio 2 (2010), S. 295-317.
    Ulrich Ernst
  • Texto como Arquitectura – Arquitectura como Texto. In: Arquitectura Escrita, hg. von Juan Calatrava und Winfried Nerdinger, Madrid 2010, S. 149-161.
    Ulrich Ernst
  • Konstituenten postmoderner Ästhetik in der Nachfolge von Jorge Luis Borges. Die fünfzigbändige Zweite Enzyklopädie von Tlön und die Tradition des ›Livre d’artiste‹. In: Enzyklopädien des Imaginären, hg. von Monika Schmitz-Emans u. a., Hildesheim 2011 (Literatur – Wissen – Poetik 1), S. 75-106
    Ulrich Ernst
  • Tectonic Turn. Zur numerischen Makroästhetik der Werke Vergils im Spiegel von Viten, Kommentaren und Nachdichtungen. In: Was zählt. Ordnungsangebote, Gebrauchsformen und Erfahrungsmodalitäten des „numerus“ im Mittelalter, hg. von Moritz Wedell, Köln 2012 (Pictura et Poesis 31), S. 345-386.
    Ulrich Ernst
  • Zahl und Wort: Konkretismus und Numerologie. Über Synapsen zwischen Mathematik, Lyrik und Malerei. In: Fiktum versus Faktum? Nicht-mathematische Dialoge mit der Mathematik, hg. von Franziska Bomski und Stefan Suhr, Berlin 2012, S. 97-120.
    Ulrich Ernst
 
 

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