Mit dieser Forschung wird ein neuer Weg in der historischen Religionssoziologie beschritten. Die Soziologie des Christentums wird um eine Analyse der Genese und Struktur von Religionsformen erweitert, die in der europäischen Moderne neu entstanden sind: Rationalreligion, Kunstreligion, Nationalreligion und Wissenschaftsreligion. Dabei hat sich gezeigt, daß nach der Ausdifferenziemng der universitas Christiana in distinkte Bekenntnisreligionen (Katholiken, Lutheraner, Reformierte) und den frühneuzeitlichen Glaubenskriegen in europäischen Gesellschaften eine komplexe Religionsdynamik sich entfaltet hat. Als „Säkularisiemng" ist dieser Prozeß ebenso unzureichend beschrieben wie als „Wiederkehr von Religion" oder als Streit zwischen „Säkularismus und Religion". Die Konjunkturen der Thematisiemng von Religion werden im Forschungsprojekt in den Zusammenhang unterschiedlicher epochaler Zeiterfahrungen gestellt, wie sie in den Texten von Intellektuellen berichtet und reflektiert worden sind. In der europäischen Moderne kehrt zwar Religion notorisch wieder, aber aus unterschiedlichen Anlässen, in höchst differenten Formen und mit neuen Inhalten religiöser Intensität. Mit den jeweils neuen, zunächst ratlos machenden gesellschaftlichen Zeiterfahrungen - in der zeitlichen Abfolge der Glaubenskriege, der Revolutionsperiode, der Entfesselung der Marktgesellschaft und der Artifizierung der Lebenswelt - steigt nicht nur allgemein das Interesse an Religion, sondem an einer Profilierung der religiösen Frage im Kontext eben der gesellschaftlichen Erfahrungen, die ratlos machen. In diesen Prozessen regeneriert sich auch das Interesse an intellektueller Religionskritik, die, so sehr auch jeweils allgemeine Einsichten in das „Wesen der Religion" postuliert werden, doch die Signaturen der Erfahrung spezieller gesellschaftlicher Problemlagen zeigen. Mit dem Projekt wird der Versuch untemommen, die in der europäischen Moderne aufeinander folgenden Zusammenhänge von Religionskonjunktur und intellektueller Religionskritik, -deutung und -umdeutung als ein Modell von Zeitschichten zu beschreiben. Es kann gezeigt werden, daß der religiöse „Pluralismus" der Gegenwart ein in bestimmter Weise geschichtetes kumulatives Phänomen darstellt, dessen Elemente heute in dem Maße Resonanz finden, in dem ähnliche Erfahrungen wie die früher gemachten dem pathischen Moment entgegenkommen, das in den jeweiligen Religionstypen aufgehoben ist.