Bernardo di Ser Pistorio, 'Questio quam numquam ab aliquo determinatam vidi proponitur disputanda'. Erstedition, Übersetzung und Kommentar dieses Initialtextes zum Fakultätenstreit
Final Report Abstract
Das zweijährige Forschungsprojekt hatte die Edition, deutsche Übersetzung und historische Kommentierung eines im lateinischen Original etwas mehr als 12.000 Worte umfassenden Textes zum Gegenstand, der die Frage verhandelt, ob die Medizin oder das Gesetz die edlere Wissenschaft sei. Dieser bisher noch nie edierte Text war zuvor nur aus Coluccio Salutatis polemischer Antwortschrift Vom Vorrang der Jurisprudenz oder der Medizin bekannt. Zudem wusste man von der Existenz einer Handschrift, die den Text überliefert. Im Rahmen der Projektarbeit ist eine zweite Handschrift der besagten Questio entdeckt und eine auf den beiden damit verfügbaren Handschriften beruhende kritische Edition des lateinischen Textes so wie eine deutsche Übersetzung erstellt worden. Im Rahmen der historischen Kommentierung konnte sodann der Autor des Textes eindeutig identifiziert werden, bei dem es sich, wie erst dank des neuen Handschriftenfundes zweifelsfrei feststeht, um den Magister Bernardo di Ser Pistorio von Florenz handelt, der in den Jahren vor 1400 auch als Dozent der Medizin am Studio von Florenz bezeugt ist. Zudem konnte gezeigt werden, dass sein Text Ob die Medizin edler als das Gesetz sei oder umgekehrt rechteigentlich als erster Kristallisationspunkt einer Auseinandersetzung gelten muss, die sich in den folgenden Jahrhunderten einer beträchtlichen Beliebtheit erfreut hat. Als kleine wissenschaftliche Sensation darf schließlich die Tatsache gewertet werden, dass Herm Dr. Christian Kaiser im Rahmen seiner Arbeit an der historischen Situierung des edierten Textes die Entdeckung gelang, dass Bernardo einen Teil seiner Argumente in Worte kleidet, die er, ohne dies eigens anzuzeigen, aus Dantes Convivio ins Lateinische übertragen hat. Bernardos Questio darf damit als der z. Z. älteste bekannte Zeuge der Convivio-Rezeption überhaupt gelten. Da man bisher davon auszugehen hatte, dass das Convivio des 1321 verstorbenen Dante Alighieri seine ersten interessierten Leser erst nach 1450 gefunden hat, eröffnet Dr. Kaisers Entdeckung über den unmittelbaren Zusammenhang der Diskussion um die nobilitas von Medizin und Gesetz hinaus eine wichtige neue Forschungsperspektive ftir die Dantistik. So es dieser darum zu tun ist, die Dante-Rezeption in ihrer tatsächlichen historischen Vielfalt und Unvorhersehbarkeit zu erschließen, wird sie nach Kaisers Entdeckung nicht mehr umhin kommen, mit der Erforschung der Convivio-Rezeption mindestens ein halbes Jahrhundert früher zu beginnen als bisher üblich. Und sie wird zudem gut daran tun, ihre Aufmerksamkeit vermehrt auch Diskussionszusammenhängen zuzuwenden, in denen man bisher nicht mit einer Präsenz Dantes zu rechnen hatte. Edition, Übersetzung und historische Kommentierung von Bernardos Questio liegen abgeschlossen vor und dürften im Verlauf des Jahres 2015 erscheinen.