Grammatik in der Interaktion: Zur Realisierung fragementarischer und komplexer Konstruktionen im gesprochenen Deutsch.
Final Report Abstract
Bei vielen der im Projekt untersuchten Konstruktionen handelt es sich um Formate des gesprochenen Deutsch, die mehr oder minder deutlich von den Strukturen abweichen, die in der traditionellen, primär auf Schriftsprache basierten Forschung als kanonisch gelten. Dennoch konnte gezeigt werden, dass SprecherInnen diese Konstruktionen regelhaft verwenden und ihnen wichtige Funktionen in der Interaktion zugeordnet werden können. Die Analyse komplexer und fragmentarischer Konstruktionen veranschaulicht, dass die Zusammenführung einer interaktional ausgerichteten Sprachbeschreibung und der "Construction Grammar" ein gewinnbringender Ansatz für die umfassende und systematische Beschreibung gesprochener Sprache sein kann. Die Kombination beider Ansätze bietet die Möglichkeit, grammatische Konstruktionen jenseits normgrammatischer Vorbehalte zu untersuchen und in einen größeren grammatiktheoretischen Rahmen zu stellen. Dabei wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass Grammatik nicht als statisches Gebilde, sondern als "fließende Struktur" begriffen werden muss. Die Untersuchungsergebnisse zeigen in diesem Sinne, dass die Konzepte "Grammatik" und "Interaktion" eng miteinander verwoben sind, sich gegenseitig bedingen und deshalb auch nicht unabhängig von einander untersucht werden können. Als besonders vielversprechend erwies sich daher die Analyse der Konstruktionen in Form des folgenden Mehr-Ebenen- Modells: (i) Untersuchung der formalen (syntaktischen, prosodischen und ggf. lexikalischen) Charakteristika von Konstruktionen nicht nur unter Berücksichtigung standardgrammatischer Aspekte, sondern auch unter Berücksichtigung von Aspekten wie Projektion und Retraktion (ii) Untersuchung von Konstruktionen als sequenzielle Kohärenz und Kohäsion stiftende Gestalten (iii) Untersuchung von Konstruktionen als Bestandteile kommunikativer Gattungen Die Formen und Funktionen von Konstruktionen, aber auch zentrale Aspekte mündlicher Sprache wie Prozesshaftigkeit, Dialogizität sowie gattungs- und aktivitätsbezogene Aspekte können innerhalb eines solchen Mehr-Ebenen-Modells adäquat berücksichtigt werden. Darüber hinaus kann in einem Mehr-Ebenen-Modell dem Umstand differenziert Rechnung getragen werden, dass es in vielen Fällen nicht allein die formalen, sprich syntaktischen, prosodischen und lexikalischen Charakteristika sind, die einer Konstruktion eine feste Gestalt geben – Konstruktionen zeichnen sich häufig gerade durch ihre offene Gestalt aus und sind erst in ihrem sequentiellen Kontext in der konkreten Interaktionssituation interpretierbar. Von besonderer Relevanz erscheint dabei die Tatsache, dass viele Konstruktionen innerhalb charakteristischer kommunikativer Praktiken wie zum Beispiel Bewertungssequenzen, Erzählsequenzen oder im Rahmen von Fremd- und Selbstpositionierungen verwendet werden. Konstruktionen stellen somit einen wesentlichen Bestandteil kommunikativen Wissens dar, über den Interagierende notwendigerweise verfügen müssen, um Kommunikationssituationen "erfolgreich" bewältigen zu können.
Publications
- Bücker, Jörg: Rezension von Hennig, Mathilde (2006): Grammatik der gesprochenen Sprache in Theorie und Praxis. Kassel: Kassel University Press.
- Bücker, Jörg: Rezension von Ágel Vilmos/ Mathilde Hennig (Hg.) (2007): Zugänge zur Grammatik gesprochener Sprache. Erscheint in: Deutsch als Fremdsprache.
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- Günthner, Susanne (2006): Von Konstruktionen zu kommunikativen Gattungen: Die Relevanz sedimentierter Muster für die Ausführung kommunikativer Aufgaben. In: Deutsche Sprache, 34 (1-2): 173-190.
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- Hauptstock, Amelie/ Beckmann, Vera (2008): Tagungsbericht: Konstruktionen in der Argumentation (Workshop im Rahmen des gidi-Projekts. Münster 15./16. Juni 2007). In: Gesprächsforschung ¿ Onlinezeitschrift zur verbalen Interaktion, 9: 79-85. (Siehe online unter: http://www.gespraechsforschung-ozs.de/heft2008/heft2008.htm )
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- Imo, Wolfgang (2007): Construction Grammar und Gesprochene-Sprache-Forschung: Konstruktionen mit zehn matrixsatzfähigen Verben im gesprochenen Deutsch. Tübingen: Niemeyer.
- Imo, Wolfgang (2007): Der Zwang zur Kategorienbildung: Probleme der Anwendung der Construction Grammar bei der Analyse gesprochener Sprache. In: Gesprächsforschung ¿ Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, 8: 22-45. (Siehe online unter: http://www.gespraechsforschung-ozs.de/heft2007/ga-imo.pdf )