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Die Körperlichkeit der Anerkennung: Subjektkonstitutionen im Sport- und Mathematikunterricht

Fachliche Zuordnung Bildungssysteme und Bildungsinstitutionen
Förderung Förderung von 2011 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 206266823
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt „Die Körperlichkeit der Anerkennung. Subjektkonstitutionen im Sport- und Mathematikunterricht“ schließt an aktuelle sozialwissenschaftliche Diskurse über Anerkennung an. Es integriert ein analytisches Konzept der Anerkennung in die praxistheoretische Subjektivierungsforschung und erforscht Anerkennung als ein Medium der Konstitution schulischer Subjekte in unterrichtlichen Praktiken. Dabei fokussiert es neben den sprachlich-diskursiven vor allem die ‚schweigsamen‘ materiellen und körperlichen Dimensionen der Anerkennung. Es möchte die Frage beantworten, wie schul- und unterrichtsspezifische Normen der Anerkennbarkeit in der Unterrichtspraxis hervorgebracht und wirkmächtig werden. Auf der Basis fächerübergreifender videogestützter Beobachtungen, detaillierter Analysen typischer sozio-materieller Unterrichtsarrangements, Interviews mit SchülerInnen und LehrerInnen sowie Methoden performativen Forschens wird die ‚Figur des Führens und Folgens' als zentral für das schulische Anerkennungsgeschehen herausgearbeitet: Alle untersuchten Unterrichtsarrangements (Frontalunterricht, Gruppenarbeit etc.) sehen die komplementären Positionen des Führens und Folgens vor. In der Schule überdauernd als SchülerInnen- oder LehrerInnensubjekt anerkannt zu werden, setzt voraus, das eigene Auftreten immer wieder performativ in diese Figur zu inserieren. Sie hat im Unterricht überwiegend die Gestalt eines Zeigens und eines Sich-Zeigen-Lassens. Unsere Analysen ergaben keine eindeutigen fachspezifischen Ausprägungen dieser Anerkennbarkeitsnorm, sondern zwei voneinander unterscheidbare Erscheinungsformen, die – in unterschiedlicher Gewichtung – tendenziell in allen Fächern auftauchen: Weist das Zeigen in der einen Form eine Dreistelligkeit a) von Zeigendem (Führendem), b) zu Zeigendem sowie c) den Adressaten des Zeigens (Folgenden) auf, so fallen die Positionen a) und b) im anderen Fall zusammen. Ein Beispiel für den ersten Fall ist das Vorrechnen (Zeigen) einer Gleichung (zu Zeigendes) an der Tafel. Beispiele für den zweiten Fall sind die Demonstration eines Saltos im Sport- oder das Vortragen eines Gedichts im Deutschunterricht: Das zu Zeigende wird hier im Medium des Zeigens selbst verkörpert und der Zeigende insofern auf besondere Weise exponiert, als der zu zeigende (Lern-)Gegenstand von seiner Performanz nicht zu trennen ist; der Zeigende hat hier keine Chance, hinter das zu Zeigende zurückzutreten. Dominiert die erste Form in den naturwissenschaftlichen Fächern und der Mathematik, so die zweite in Sport-, Deutsch- und Kunstunterricht. Beide Erscheinungsformen konfrontieren gerade die Zeigenden mit besonderen Herausforderungen; eine anerkennungswürdige Teilnahme am Unterricht setzt ein praktisches Beherrschen beider Formen voraus. Über unser ursprüngliches Vorhaben hinaus konnten wir zudem herausarbeiten, dass die am Unterricht Teilnehmenden spezifische Strategien zur Bewältigung situativer Unterrichtsanforderungen entwickeln, sich in längerfristigen Prozessen wechselseitiger Adressierungen auf diese Strategien einspielen und in der Folge auf bestimmte ‚Klassenidentitäten‘ z. B. als ‚Parodist‘, ‚Experte‘, ‚Hilfsbedürftiger‘ oder ‚Klassenclown’ festlegen. Diese ‚Rollen’ verstehen wir als historisch gewachsene und institutionell etablierte Angebote, eine anerkennbare Position im Beziehungsgeflecht einer Schulklasse erringen und auf wiedererkennbare Weise an die Figur des Führens und Folgens anschließen zu können. Durch die allmähliche Festlegung auf ‚Klassenidentitäten‘ werden im Unterricht schulspezifische soziale Differenzierungen erzeugt und verkörpert, auf die vor allem in prekären Situationen zurückgegriffen werden kann, um Kontingenz einzudämmen und den Unterricht am Laufen zu halten: Die Produktion differenzierender ‚Klassenidentitäten’ durch anerkennende (Re-) Adressierungen wird als eine Stütze unterrichtlicher Praktiken erkennbar.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2014): Warum die Praxistheorien ein Konzept der Subjektivierung benötigen. In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, Bd. 39.1, S. 27-36
    Alkemeyer, T.
  • (2015): Kritik der Praxis. Plädoyer für eine subjektivierungstheoretische Erweiterung der Praxistheorien. In: Alkemeyer, T./Schürmann, V./Volbers, J. (Hg.): Praxis denken. Konzepte und Kritik. Wiesbaden: Springer VS, S. 25-50
    Alkemeyer, T./Buschmann, N./Michaeler, M.
  • (2015): „Was man ist und was man tut“. Die Konstitution des Subjekts in der Praxis. In: Berliner Debatte Initial, 26. Jg., H. 3, S. 105-115
    Alkemeyer, T.
  • (2016): Bindende Verflechtung. Zur Materialität und Körperlichkeit der Anerkennung im Alltag der Schule. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 92, 1, S. 170-194
    Pille, T./Alkemeyer, T.
  • (2016): Praktiken der Subjektivierung - Subjektivierung als Praxis. In: Schäfer, H. (Hg.): Praxistheorie. Ein soziologisches Forschungsprogramm. Bielefeld: transcript. S. 115-136
    Alkemeyer, T./Buschmann, N.
 
 

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