Die Entlassung aus dem Strafvollzug: Strukturen für einen gelungenen Übergang in ein straffreies Leben im europäischen Vergleich
Final Report Abstract
Die geförderte Studie hat eine Bestandsaufnahme des verfügbaren statistischen, forschungsliterarischen und kriminalpolitischen Materials zur Entlassung aus dem Strafvollzug erbracht. Diese beschreibt zunächst die erfolgten Veränderungen des Reformprozesses der letzten ca. 10 Jahre, der ein besseres Zusammenspiel von Vollzug und ambulanter Straffälligenhilfe zum Ziel hatte. Jedes Bundesland hat die Frage der Wiedereingliederung nach Haftentlassung im Rahmen der Vollzugsgesetzgebung und der Reform der Sozialen Dienste behandelt. Dabei werden unterschiedliche Schwerpunkte erkennbar. Trotz der Einführung einiger innovativer Ideen zeigt sich, dass weiterhin Bundes‐ und Ländergesetze nicht optimal aufeinander abgestimmt sind und die Umsetzung des Ziels der besseren Kooperation nicht zuletzt aus diesem Grund häufig schwierig scheint. Neue Regelungen sind allenfalls zu geringen Anteilen rechtsverbindlich ausgestaltet, weshalb es ihnen an Durchsetzungskraft fehlt. Forschungsarbeiten zur tatsächlichen praktischen Umsetzung der neuen Ideen und Strukturen stehen noch aus. Die Analyse verdeutlicht, dass Reformen auf dem Gebiet der Haftentlassung nicht allein durch die Justiz gestaltet werden können, sondern dass eine Integration der kommunalen Sozial‐ und Gesundheitsbehörden genauso wie diejenige der Zivilgesellschaft notwendig ist. International sind ähnliche Entwicklungen zu erkennen. In vielen Ländern Europas hat es in den vergangenen 10 bis 20 Jahren weitreichende Reformen auf dem Gebiet der Haftentlassung gegeben mit dem Ziel, den Wiedereingliederungsprozess besser zu strukturieren und die erkannten Schwierigkeiten der Haftentlassenen nach dem Ende des Vollzugs abzumildern. Dabei sind unterschiedliche Richtungen erkennbar. Während in England und den Niederlanden die soziale Arbeit mit Häftlingen und Haftentlassenen in Anlehnung an den RNR‐Ansatz von Andrews und Bonta stark am Rückfallrisiko ausgerichtet wird, stellen Länder wie Schottland oder Norwegen die individuelle und bedürfnisorientierte Sozialarbeit in den Vordergrund. In vielen Ländern wurden Konzepte für die bessere Zusammenarbeit zwischen Vollzug und ambulanter Straffälligenhilfe entwickelt, die jedoch in der Regel vorwiegend bei Gefangenen mit langen Freiheitsstrafen greifen, die in den meisten europäischen Ländern nicht die Masse der Gefangenen ausmachen. Die internationale kriminologische Forschung zeigt, dass überleitungsorientierte Strukturen bei der Haftentlassung die Integration erleichtern können. Die neuere Verlaufsforschung zeichnet das optimistische Bild vom Regelfall des Kriminalitätsausstiegs, das einer kriminalpolitischen Strategie der „Unschädlichmachung“ entgegensteht. Die junge Desistance‐Forschung gibt Hinweise darauf, dass der Ausstiegsprozess sehr komplex ist und deshalb Hilfsangebote für die Haftentlassenen deren individuelle Problemlagen und ihre sozialen Bezüge in den Blick nehmen sollten. Strategien, die staatliche Unterstützung und Kontrolle am Rückfallrisiko ausrichten, sind europaweit auf dem Vormarsch. Auch in Deutschland haben einige Bundesländer nach dem Rückfallrisiko diffe‐ renzierende Leistungsgestaltungen für die ambulante Arbeit mit Haftentlassenen eingeführt. Die Analyse des Forschungsstandes verdeutlicht, dass der risikoorientierte Ansatz in Reinform nicht alternativlos ist. Es wird erkennbar, dass im internationalen Vergleich in Deutschland die Debatte um die Ziele und Auswirkungen eines solchen Ansatzes noch am Anfang steht und auch im Hinblick auf das verfassungsrechtlich abgesicherte Resozialisierungsgebot um die Erkenntnisse aus der Desistance‐Forschung anzureichern ist. Die Ergebnisse des geförderten Forschungsprojektes können zu einer Vertiefung der diesbezüglichen Debatte beitragen und ermöglichen konkrete Hinweise auf eine evidenzbasierte Wiedereingliederungsstrategie für Haftentlassene. Diese besteht in verbindlichen Abstimmungen zwischen Vollzug und ambulanter Straffälligenhilfe, für die die Etablierung neuer Institutionen als sinnvoll erachtet werden muss. Auf der Einzelfallebene sollten für den Haftentlassenen subjektive Rechte (Ansprüche) auf diverse Hilfeleistungen entstehen. Die Projektergebnisse verdeutlichen letztlich, dass der aktuell eingeschlagene kriminalpolitische Weg, die Wiedereingliederung Haftentlassener als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen, auch aus wissenschaftlicher Sicht untermauert werden kann.
Publications
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