Die "Amerikanisierung" der Medienberichterstattung und ihre Bedeutung für politische Einstellungen und für politisches Verhalten in Deutschland
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Wie stark ist die Medienberichterstattung vor Bundestagswahlen "amerikanisiert"? Und nimmt diese "Amerikanisierung" gegebenenfalls zu? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des von der DFG geförderten Projekts. Um sie zu beantworten, wurden die Nachrichtensendungen der wichtigsten deutschen Fernsehsender vor den Bundestagswahlen 1998, 2002 und 2005 (ARD Tagesschau und Tagesthemen, ZDF heute und heute journal, RTL Aktuell, SAT.1 18:30, ProSieben Nachrichten) sowie der wichtigsten amerikanischen Fernsehsender vor der Präsidentschaftswahl 2004 (ABC, CBS, NBC) Tag für Tag auf Aussagenebene untersucht. Insgesamt wurden über 200.000 Aussagen in den Nachrichtensendungen inhaltsanalytisch erfasst. Die Medienberichterstattung gilt gemeinhin als "amerikanisiert", wenn häufiger über Kandidaten als über Parteien berichtet wird, wenn in der Berichterstattung über Spitzenpolitiker die unpolitischen Kandidatenmerkmale eine bedeutende Rolle spielen und wenn in der gesamten Berichterstattung der Wettkampfcharakter der Wahl einen breiteren Raum einnimmt als die Sachthemen. Auf Basis der Inhaltsanalyse lässt sich feststellen: Weder war die Berichterstattung vor der Bundestagswahl 2005 "amerikanisiert", noch gibt es eine zunehmende "Amerikanisierung". Erstens stehen Parteien nach wie vor im Mittelpunkt der Fernsehnachrichten vor Bundestagswahlen. Etwa zwei Drittel der Berichterstattung entfallen auf Parteien, ein Drittel entfällt auf die Kandidaten. Der genaue Anteil schwankt von Wahl zu Wahl. Einen einheitlichen Bedeutungszuwachs der Kandidaten gibt es innerhalb des Wahlkampfes, je näher der Wahltermin rückt - nicht aber von Wahl zu Wahl. Stellt eine Partei den Kanzler, so ist die Berichterstattung über diese Partei personalisierter als die Berichterstattung über die Oppositionspartei. Zweitens: Politisches übenwiegt in der Berichterstattung über die Spitzenpolitiker das Persönliche bei weitem. Am häufigsten wird über die Sachkompetenz der Kandidaten berichtet, gefolgt von den Führungsqualitäten. Unpolitisches spielt in der Berichterstattung nur eine untergeordnete Rolle - sowohl in der Bundesrepublik, als auch in den USA. Drittens: Über die gesamten zehn Monate der Berichterstattung vor Wahlen betrachtet wird häufiger über Sachfragen berichtet (ca. 40%) als über Wettkampfaspekte (ca. 20%). Erneut schwankt der genaue Anteil von Wahl zu Wahl. Es gibt zwar einen einheitlichen Bedeutungszuwachs der Wettkampfaspekte, je näher der Wahltermin rückt, aber gelegentlich steigt zusätzlich auch der Anteil der Sachthemen in der Berichterstattung an (Bundestagswahl 2002 und Präsidentschaftswahl 2004). Von einer einheitlichen Entsachlichung kann jedenfalls nicht die Rede sein. In welchem Ausmaß die Berichterstattung vor Wahlen personalisiert oder auf Wettkampfaspekte bezogen ist, hängt im Wesentlichen von der Art des politischen Systems (Parlamentarismus oder Präsidentialismus), von der Verfasstheit des Mediensystems (privat-kommerziell oder öffentlich-rechtlich) sowie von situativen Faktoren ab, die von Wahl zu Wahl variieren können (vor allem von den die Wahl dominierenden Themen, von den Kandidaten und von der Wahlkampfführung der Parteien).
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- ¿ Frank Brettschneider, 2005: Wahlkampf und Medienberichterstattung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 2005, B51-52, S. 19-26. [auch abgedruckt unter dem Titel Wahlkampf und Berichterstattung in: Media Tenor 152, 2005, S. 73-79]