Ziel des Projektes war es, durch einen integrierten Ansatz aus Experiment und Simulation die Ursachen der in Strontiumtitanat beobachteten Wachstumsanomalie aufzuklären. Zu diesem Zweck wurden die Anisotropie der Oberflächenenergie sowie der Korngrenzmobilität abhängig vom Sauerstoffpartialdruck und von der Temperatur experimentell ermittelt. Ein spezieller Versuchsaufbau, basierend auf einkristallinen Keimen, welche in eine polykristalline Matrix hineinwachsen, ermöglichte dabei die Trennung der Korngrenzmobilität von der Korngrenzenergie. Die relative Oberflächenenergie wurde mittels der Gleichgewichtsform kleiner intragranularer Poren ermittelt. Die energetisch günstigsten Orientierungen waren (100), (110), (111) und (310). Mit steigender Temperatur wurde eine Abnahme der Anisotropie beobachtet, gleiches gilt für einen sinkenden Sauerstoffpartialdruck. Die Oberflächenenergie wies keine sehr ausgeprägten Änderungen nach, wie sie zur Erklärung der Wachstumsanomalie nötig wäre. Die Anisotropie der Korngrenzmobilität zeigte wesentlich ausgeprägtere Effekte. So zeigten alle Orientierungen der einkristallinen Keime bei 1460°C eine deutlich schnelleres Wachstum als die polykristalline Matrix. Ein geringerer Sauerstoffpartialdruck führte zu einer deutlich steigenden Mobilität. Bei hohen Temperaturen wurde ein Benetzungsübergang an den Korngrenzen beobachtet, welcher durch eine Verringerung des Sauerstoffpartialdrucks ausgelöst wird. Weiterhin wurde bei fast allen Temperaturen eine Stagnation des Wachstums der kompletten Mikrostruktur beobachtet, deren Ursache nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte. Das Verhalten der (100)-Orientierung mit der Temperatur liefert einen Ansatz zur Erklärung der Wachstumsanomalie von SrTiO3. Die Argumentation stützt sich dabei auf eine Sinken deren relativer Mobilität mit der Temperatur bei gleichzeitig häufigem Auftreten in realen Mikrostrukturen. Die Wirkung einer Anisotropie der Korngrenzen auf das Kornwachstum wurde mittels Kornwachstumssimulationen evaluiert. Dabei wurde das Kornwachstumsverhalten unter isotroper Korngrenzenergie mit dem unter anisotroper Korngrenzenergie verglichen. Dabei wurde die Form der Anisotropie variiert. Die Simulationen zeigten insgesamt eine Beschleunigung des Kornwachstums bei anisotroper Oberflächenenergie. Das abnormale Kornwachstum wurde aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Die durchgeführten Simulationen in drei Dimensionen zeigen, dass der Bereich des abnormalen Kornwachtums aus dem Mean-Field.-Modells von Hillert zu groß ist. Die Rolle der Korngrenzenergie wird im Modell unterschätzt und die der Mobilität überschätzte. Zusätzlich wurde das Kornwachstumsverhalten von BaTiO 3 im Experiment betrachtet. Dabei wurden zwei unterscheidliche Bereiche mit unterschiedlichen Aktivierungsenergien beobachtet, bei tiefen Temperaturen ist diese niedriger als bei hohen. Im Übergang zwischen diesen beiden Temperauturbereichen konnte ein fließender Übergang nachgewiesen werden, welcher mit dem Auftreten von abnormalem Kornwachstum assoziiert ist. Das Verhalten konnte mit einer thermisch aktivierten Transformation der Korngrenzen von einem Tieftemperatur- in einen Hochtemperaturtyp erklärt werden. Solange beide Typen parallel vorliegen, kann ein Korn abnormales Wachstum zeigen, wenn es einen ausreichend Anteil an schnellen Korngrenzen aufweist. Schließlich ermöglichten mittels Röntgenbeugungstomographie charakterisierte Auslagerungsexperimente die Untersuchung der Orientierungs-Eigenschaftsbeziehungen an den Grenzflächen. Es wurde eine vermehrtes Auftreten einzelener Korngrenzorientierungen beobachtet. Dieses Phänomen verstärkte sich im Zuge der Auslagerung. Die Untersuchung Migrationslängen einzelner Facetten ist in guter Übereinstimmung mit den 2D Einkristallexperimenten. Eine Wiederholung des Einkristallexperiments unter Benutzung der Röntgenbeugungstomographie wird angestrebt.