Das Bundesverfassungsgericht als Vetospieler
Final Report Abstract
Gegenstand des Projekts war die Frage, wann und unter welchen Bedingungen das Bundesverfassungsgericht als Vetospieler auftritt. Mit anderen Worten: Unter welchen Bedingungen erklärt das Gericht ihm zu Prüfung vorgelegte Gesetze für verfassungswidrig, legt also gegenüber dem Gesetzgeber ein Veto ein? Bislang ist die in der Politikwissenschaft verbreitete Vetospielertheorie für Verfassungsgerichte trotz ihrer mächtigen Stellung im politischen System nur unzureichend empirisch getestet worden. Für das deutsche Bundesverfassungsgericht hat das Projekt diese Lücke geschlossen. Darüber hinaus ermöglicht es, die bisher in der Politikwissenschaft nur wenig untersuchte Interaktion von Bundesverfassungsgericht und anderen politischen Akteuren empirisch zu analysieren. Auf Basis der Vetospielertheorie können wir nachweisen, dass das Bundesverfassungsgericht seltener Gesetze beanstandet, wenn seine politischen und weltanschaulichen Präferenzen in der Schnittmenge der Präferenzen der anderen beteiligten Akteure (Bunderegierung, Bundestag, Bundesrat) liegen. Darüber hinaus können wir zeigen, dass es bei einem Thema wie dem vorliegenden zentral ist, bei der Analyse verfassungsgerichtlichen Handels zwischen den beiden Senaten zu unterscheiden, ein Gesichtspunkt, der bislang häufig vernachlässigt wurde. Zudem muss im Hinblick auf die Interaktion von Gericht und Gesetzgeber zwischen den verschiedenen Gesetzestypen, also zwischen Zustimmungs- und Einspruchsgesetzen, differenziert werden, um das Zusammenspiel richtig abzubilden. Ein weiterer ganz entscheidender Aspekt unserer Arbeit war die Erstellung einer Datenbank zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Diese ermöglicht es erstmals, Untersuchungen mit großen Fallzahlen durchzuführen und das Gericht als Akteur im politischen System zu berücksichtigen. Wo sich die Wissenschaft bislang dem Verstehen des Gerichts mithilfe von Fallstudien oder ausgewählten Verfahrensarten nähern musste, können nun Untersuchungen über einen Zeitraum von 34 Jahren (1976 bis 2010) mit sämtlichen Entscheidungen (N = 1754) durchgeführt werden und so ein umfassendes Bild zeichnen. Diese Daten werden dann in mehreren Schritten über GESIS zur Verfügung gestellt werden. Damit lassen sich zusammenfassend drei zentrale Errungenschaften auflisten: erstens die Beantwortung der Frage, wann und unter welchen Bedingungen das Bundesverfassungsgericht als Vetospieler agiert; zweitens erstmalig die Möglichkeit, das Verhalten des Gerichts umfassend mit großer Fallzahl empirisch und statistisch zu untersuchen; und drittens das Bereitstellen von systematisch aufbereiteten Informationen zu Verfassungsgerichtsentscheidungen.
Publications
- (2011) Verfassungsgerichte: Stabilitätsgarant oder Vetospieler? In: Grotz, Florian, Müller-Rommel, Ferdinand (Hrsg.), Regierungssysteme in Mittel- und Osteuropa. Die neuen EU-Staaten im Vergleich. Nomos, 262-280
Hönnige, Christoph
- (2011): Beyond the Judicialization Hypothesis: Why we need more comparative research about constitutional courts. European Political Science 10 (3): 346-358
Hönnige, Christoph
- (2012): Book review. Reform Processes and Policy Change: Veto Players and Decision-Making in Modern Democracies. West European Politics 35 (2): 435-436
Hönnige, Christoph
- (2015): „Zum Einfluss der öffentlichen Meinung auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Eine Analyse von abstrakten Normenkontrollen sowie Bund-Länder-Streitigkeiten 1974-2010“. Politische Vierteljahressschrift, Heft 4, 570-599
Sternberg, Sebastian, Thomas Gschwend, Caroline Wittig, Benjamin G. Engst
(See online at https://doi.org/10.5771/0032-3470-2015-4-570) - „Die vierte Gesetzeslesung. Verfassungsgerichte des deutschösterreichischen Modells als Vetospieler“. In: Roland Lhotta, Oliver Lembcke, Verena Frick (Hrsg.). Politik und Recht: Umrisse eines politikwissenschaftlichen Forschungsfeldes. Seite 281 - 302. Baden-Baden: Nomos, 1. Auflage 2017, ISBN print: 978-3-8487-3682-9 (Politik und Recht)
Engst, Benjamin G.