SrTiO3 besitzt als Substrat für unterschiedliche perowskit-artige Materialien eine erhebliche praktische Bedeutung. Allerdings sind die strukturellen Eigenschaften insbesondere bei tiefen Temperaturen, sowie ihre Veränderungen durch äußere Beanspruchungen noch nicht vollständig geklärt. So bilden sich unterhalb der antiferrodistortiven Umwandlung bei 105 K drei unterschiedliche Domänen einer tetragonalen Überstruktur. Diese Umwandlung verhindert die Kondensation einer polaren Gitterschwingung im Zentrum der Brillouin-Zone, so dass SrTiO3 im Unterschied zum isotypen BaTiO3 bis hin zu tiefsten Temperaturen keine ferroelektrische Ordnung ausbildet. Erst durch Anwendung externer elektrischer Felder gelingt es, unterhalb von etwa 30 K eine ferroelektrische Phase zu induzieren. Im vorliegenden Projekt wurde die Veränderung der Domänenstruktur von SrTiO3-Einkristallen unter dem Einfluss externer mechanischer Spannungen und elektrischer Felder quantitativ untersucht. Mit Hilfe der Neutronen-Diffraktion war es möglich, die Volumenanteile der drei Domänen aus den Intensitäten von Überstrukturreflexen mit guter Genauigkeit zu ermitteln. Es zeigte sich, dass elektrische Felder in der Größenordnung einiger kV/cm einen ebenso großen Einfluss auf die Domänenverteilung besitzen wie mechanische Spannungen im Bereich einiger MPa, obwohl es aus Symmetriegründen keine bilineare Kopplung des tetragonalen Ordnungsparameters mit dem elektrischen Feld gibt. Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass es zwar möglich ist, eine nahezu monodomänige tetragonale Phase zu erzeugen, dass die durch das elektrische Feld induzierte ferroelektrische Polarisation allerdings senkrecht zur Symmetrieachse ausgerichtet ist und daher allenfalls die Symmetrie Pmm2 besitzen kann. Da ein elektrisches Feld in Richtung [001] aber stets gleichzeitig zur Bildung von Domänen führt, bei denen die TiO6-Oktaeder um die dazu senkrechten x- bzw- y-Achse verdreht sind, kann es keine monodomänige ferroelektrische Phase geben. Während die Domänenverteilung durch mechanische Spannungen nahezu irreversibel verändert wird, bei Druckentlastung also erhalten bleibt, ist der Einfluss elektrischer Felder nahezu reversibel, so lange die ferroelektrische Phase nicht erreicht wird. Wenn allerdings einmal polare Domänen gebildet worden sind, gibt es auch hier einen Gedächtniseffekt, der sich nur durch Temperaturerhöhung rückgängig machen lässt. Die Kinetik der Domänenumwandlung wurde in stroboskopischen Experimenten mit gepulsten elektrischen Feldern untersucht. Relaxationszeiten im Bereich einiger 10 µs charakterisieren dabei die Beweglichkeit der Domänenwände. Eine weitere Langzeitrelaxation mit viel größerer Zeitkonstante wird bei nicht allzu großen elektrischen Feldstärken beobachtet, welche erstmals die Existenz „harter“ Domänenwände belegt. Erhöht man die Feldstärke, so wird die Aktivierungsschwelle abgesenkt, so dass auch die Beweglichkeit „harter“ Domänenwände erhöht wird. Die Untersuchung einer Vielzahl unterschiedlich präparierter Proben hat zudem ergeben, dass Eigenspannungen bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden müssen, da sie zur Bevorzugung einzelner Domänen führen können. Zur theoretischen Untermauerung der erhaltenen Ergebnisse wurden im Rahmen der phänomenologischen Landautheorie die komplexen Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Ordnungsparametern und externen Einflussgrößen beschrieben.