Alexithymie und Wahrnehmung emotionaler Informationen: eine funktionelle Bildgebungsstudie mit Multi-Methoden-Ansatz
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Alexithymie bezeichnet ein multidimensionales, psychopathologisch relevantes Persönlichkeitskonstrukt, das sich auf Schwierigkeiten in der Wahrnehmung und im Umgang mit Gefühlen bezieht. Das vorliegende Forschungsvorhaben hatte das Ziel, das Verständnis der Neurobiologie alexithymer Persönlichkeitsmerkmale zu erweitern, indem grundlegende Prozesse der visuellen Wahrnehmung von emotionalen Reizen systematisch untersucht werden. Im Projekt wurde auf Prozesse der automatischen Verarbeitung und Wahrnehmungsprozesse unter zeitlich restriktiven Präsentationsbedingungen fokussiert. Die Vernachlässigung der automatischen Emotionsverarbeitung in der neurobiologischen Forschung zur Alexithymie überrascht angesichts der Tatsache, dass Emotionen im Alltag in der Regel unwillkürlich ausgelöst werden. In der bisherigen Alexithymieforschung wurde als Erfassungsmethode vor allem das in diesem Zusammenhang wiederholt kritisch diskutierte Verfahren der Selbstbeurteilung eingesetzt. Im vorliegenden Projekt wurde daher der autodeskriptive Ansatz um objektive Erhebungsmethoden erweitert. 52 gesunde Erwachsene (26 Frauen), die in den Alexithymietestverfahren im Vergleich zu repräsentativen Stichproben im und um den Durchschnittsbereich liegende Werte aufwiesen, nahmen an der Untersuchung teil. Bei der Erhebung alexithymer Merkmale wurde außer dem Selbstbeurteilungsverfahren 20-Item Toronto Alexithymie Skala (TAS-20) erstmalig ein Fremdbeurteilungsverfahren (Toronto Structured Interview for Alexithymia, TSIA) und ein performanzbasierter Test (Levels of Emotional Awareness Scale, LEAS) eingesetzt. Mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT 3T) wurden die neuronalen Korrelate von Prozessen der automatischen und kontrollierten Wahrnehmung mimischen Emotionsausdrucks in Abhängigkeit von alexithymen Merkmalen analysiert. Anhand von zwei affektiven Primingaufgaben wurden implizite evaluative Prozesse sowie anhand von zwei weiteren Aufgaben die explizite Identifikation emotionaler Mimik unter eingeschränkter bzw. guter Visibilität untersucht. Die fMRT-Daten der affektiven Primingexperimente ergeben Belege für die Annahme, dass Alexithymie mit einer geringeren automatischen Responsivität in einem für die Verarbeitung von emotionaler Mimik relevanten Netzwerk einhergeht. Experimentübergreifend betrachtet ergaben sich weitgehend konsistente negative Beziehungen zwischen alexithymen Merkmalen und Aktivierung durch emotionale Mimik in Amygdala, Thalamus, somatosensorischen Arealen und frontalem Operculum. Eine reduzierte Responsivität von Amygdala und Thalamus könnte zu einer geringeren automatischen Enkodierung von emotionalen Reizen beitragen. Eine geringe unwillkürliche Responsivität in somatosensorischen Bereichen und frontalem Operculum könnte auf eine Abschwächung von affektiver Simulation und mimischer Imitation bei Alexithymie verweisen. Für eine der Primingaufgaben liegen Hinweise vor, dass mittels performanzbasiertem Test (LEAS) erhobene alexithyme Merkmale bessere Prädiktoren der automatischen neuronalen Responsivität auf emotionale Mimik darstellen als durch Selbstbeurteilung erhobene. Auf behavioraler Ebene wurde erstmalig (über beide Primingexperimente) aufgezeigt, dass Alexithymie mit geringerem affektiven Priming zusammenhängt. Das heißt, Alexithymie geht mit einem reduzierten automatischen Herauslesen mimischer Valenz und dessen Integration in sich anschließende affektive Urteilsprozesse einher. Insgesamt waren mittels performanzbasiertem Test (LEAS) erhobene alexithyme Merkmale die besten Prädiktoren automatischer Evaluation. Schwierigkeiten beim Benennen von Gefühlen (gemessen mittels TAS-20 bzw. TSIA) hingen negativ mit der Response im Striatum auf negative Mimik zusammen, die maskiert, knapp oberhalb der Wahrnehmungsschwelle dargeboten wurde. Striatumaktivierung war dagegen positiv mit dem Erkennen negativer Mimik assoziiert. Die Erkennensleistung bzgl. positiver und negativer Mimik korrelierte nur (und invers) mit selbst berichteten Schwierigkeiten beim Benennen von Gefühlen. Im Falle unmaskierter, gut erkennbarer emotionaler Mimik ergaben sich kaum Beziehungen zwischen Alexithymiemaßen und Gehirnresponsivität. Aufgrund vorliegender Befunde kann der Einsatz von objektiven Methoden zur Erfassung von Alexithymie in Studien zur automatischen Emotionsverarbeitung empfohlen werden. Unseren Daten zufolge sind alexithyme Persönlichkeitsmerkmale bei gesunden Personen mit Auffälligkeiten in der automatischen Emotionsverarbeitung und der Emotionsverarbeitung bei minimaler bzw. geringer Reizdauer assoziiert, kaum aber mit solchen in der Verarbeitung von gut wahrnehmbaren Reizen. Alexithymie ist gekennzeichnet durch eine geringere automatische Responsivität auf emotionale Mimik in Gehirnarealen, die für Enkodierung, affektive Simulation und Imitation relevant sind, sowie durch eine reduzierte perzeptive Sensitivität für emotionale Reize geringer Dauer.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2013). Alexithymia is related to differences in gray matter volume: A voxel-based morphometry study. Brain Research, 1491, 60-67
Ihme, K., Dannlowski, U., Lichev, V., Stuhrmann, A., Grotegerd, D., Rosenberg, N., Kugel, H., Heindel, W., Arolt, V., Kersting, A., & Suslow T.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.brainres.2012.10.044)