Im Mittelpunkt des Projekts stand die Frage, inwieweit unterschiedliche islamische Zugänge zu Wissen einen prägenden Einfluss auf die Differenzen innerhalb des zeitgenössischen sunnitischen Islam haben. Insgesamt waren neben dem Antragsteller drei weitere Personen (Britta Frede, Noah Salomon, Ahmed Khalid Ayong) an den Forschungen beteiligt. Im Laufe von zehn Forschungsaufenthalten in fünf afrikanischen Ländern (schwerpunkmäßig Sudan, Mauretanien und Kamerun) wurden die im Projektantrag skizzierten drei epistemologischen Modelle (sanad bzw. Überliefererkette; dalil bzw. Evidenz; maslaha bzw. Gemeinwohl) eingehend und vergleichend untersucht. Die Annahme, dass die Modelle mit den drei als Traditionalisten, Reformisten und Islamisten bezeichneten sunnitischen Hauptströmungen korrelieren, hat sich weitgehend bestätigt. Allerdings haben die Forschungen insbesondere in Mauretanien und Sudan ergeben, dass die Trennlinien zwischen traditionalistischer und reformistischer Epistemologie weniger scharf sind als dies vielfach behauptet wird – nicht zuletzt von vielen beteiligten Akteuren selbst. Sowohl die Curricula als auch die Lehrmethoden weisen teils starke Ähnlichkeiten auf, so dass es man statt eines epistemologischen Bruchs zwischen den beiden Strömungen eher von einem Spektrum sprechen muss, auf dem sich die Akteure positionieren. Hingegen zeigen die Befunde zum islamistischen Paradigma sehr klar, dass diesem Modell andere epistemologische Prämissen zugrunde liegen. Die Ausgangsthese, dass sich die Differenzen innerhalb des sunnitischen Islam durch epistemologische Faktoren besser erklären lassen als durch ideologische Faktoren, hat sich demnach in dieser generellen Form nicht bestätigt. Vielmehr offenbaren die Forschungsergebnisse ein komplexes Zusammenspiel von Epistemologie und Ideologie. Einerseits zeichnen sich die drei fraglichen Strömungen durch spezifische Wissenstheorien aus, die für ihren je eigenen Charakter mit konstitutiv sind und von ihren Vertretern als wesentliche Elemente benannt werden. Andererseits zeigt die Untersuchung der Praktiken insbesondere bei der Weitergabe von Wissen, dass Traditionalisten und Reformisten vieles gemeinsam haben. Insofern stellen sich die Unterschiede zwischen diesen beiden Strömungen als Kombination epistemologischer, theologischer und ideologischer Elemente dar. Die epistemologische Dimension ist nach wie vor die am wenigsten erforschte. Hier hat das Projekt aus der Perspektive Afrikas einen innovativen Beitrag zur Kenntnis des modernen Islams geliefert.