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L'état c'était moi? Transformation von Staatlichkeit und ihre Folgen für Deutungsmuster, Habitusformationen und berufliches Selbstverständnis

Subject Area Empirical Social Research
Term from 2009 to 2014
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 158619271
 
Final Report Year 2014

Final Report Abstract

Ziel des Projektes war es, die häufig mit dem Begriff „Managerialisierung“ belegten aktuellen Wandlungstendenzen von Staatlichkeit im Inneren darauf zu prüfen, ob und wie diese sich in der Interaktion zwischen ,Vertretern des Staates‘ und Bürgerinnen und Bürgern niederschlagen. Die grundlegende Annahme war, dass diese Wandlungstendenzen zu neuen Deutungsmustern und Habitusformen bei den Mitarbeitenden in öffentlichen Verwaltungen bzw. (ehemals) staatlichen Infrastrukturdienstleistern führen würden, die sich als Entpolitisierung beschreiben lassen; angenommen wurde ferner, dass sich vergleichbare Wahrnehmungen auch auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger finden ließen. Zur Prüfung dieser Annahmen wurden qualitative Interviews mit Mitarbeitenden in Bürger-, Standes- und Finanzämtern sowie der (bis vor kurzem) staatlichen Infrastrukturdienstleister Bahn und Post in zwei verschiedenen Regionen (und dort jeweils einer Groß- und einer Kleinstadt) sowie parallel dazu qualitative Interviews mit Bürgerinnen und Bürgern geführt, die diese Institutionen in Anspruch genommen hatten (Zahl der Interviews mit Mitarbeitenden: 61, mit Bürger/-innen: 71). In der Mehrzahl der Institutionen wurden auch Interaktionen (insgesamt 171) zwischen Bürger/-innen und Mitarbeitenden audiotechnisch aufgezeichnet. Als zentrales Ergebnis des Projektes lässt sich zwar tatsächlich ein deutlicher Wandel staatlichen Handelns weg von einem rein bürokratischen Modell (im Weber’schen Sinne) konstatieren. Entgegen den ursprünglichen Annahmen lässt sich dieser Wandel jedoch kaum als mentale und habituelle ,Entstaatlichung‘ im Sinne eines weitgehenden Bedeutungsverlusts von Hoheitlichkeit, als ein Abschied vom bürokratischen Modell charakterisieren; in diesem Sinne ,entstaatlichte‘ Deutungsmuster(-elemente) finden sich insbesondere bei den Mitarbeitenden in Verwaltungen bzw. ehemals staatlichen Infrastrukturdienstleistungsunternehmen nur sehr spärlich. Vielmehr verstehen und praktizieren diese ihre Tätigkeit fast durchgängig im Bewusstsein der Schranken, die durch die hoheitlichen oder zumindest hoheitlichkeitsaffinen Aspekte ihrer Tätigkeit gesetzt sind. Ihre Haltung den Bürger/-innen gegenüber lässt sich weniger als „Kundenorientierung“ (als eine zentrale Facette von Managerialisierung) denn im Sinne Rosanvallons politisch als „Nähe“ (Zugänglichkeit und Gesprächsführung ‚auf Augenhöhe‘) und „prozedurale Gerechtigkeit“ (im Sinne von Transparenz der gesetzlichen Vorgaben und prinzipieller Offenheit gegenüber Bürgerwünschen) charakterisieren. Analog dazu wird die Ausrichtung auf „Effizienz“ (als zweite zentrale Facette von Managerialisierung, die sich auf interne Abläufe und Strukturen bezieht) teilweise kritisch bewertet, und zwar nicht nur, weil sie in Widerspruch zu Sorgfaltspflichten treten kann, sondern auch, weil die Mitarbeitenden damit den Maximen der Nähe und der prozeduralen Gerechtigkeit nicht ausreichend entsprechen können (zu wenig Spielraum, auf Fallspezifika einzugehen oder Bürger/-innen zu beraten). Weitergehende Arbeiten befassen sich mit detaillierten Analysen der Interaktionen zwischen Verwaltungsmitarbeiter/-innen und Bürger/-innen, die den deliberativen Charakter von Konfliktbearbeitungsstrategien herausarbeiten sollen, mit der Rekonstruktion der Wahrnehmungen der Amtspraxis durch die Bürger/-innen, mit den Bewertungen der durch die (Teil-)Privatisierung bewirkten Umbrüche bei den ehemals staatlichen Dienstleistern Post und Bahn oder mit den Folgen der Änderungen für die Anerkennungsverhältnisse zwischen Beschäftigten öffentlicher Dienste und Bürger/-innen einerseits sowie Vorgesetzten bzw. Kolleg/-innen anderseits. Vertiefend herauszuarbeiten bleiben die Implikationen der Analysen für soziologische Staatstheorien und generell für die Rolle des Staates in der Soziologie.

Publications

  • Staatsdiener oder Dienstleister? – Deutungsmuster und berufliches Selbstverständnis von Mitarbeitenden öffentlicher Verwaltungen. Stream 12 „Deregulierung(sfolgen) – Strukturwandel des Öffentlichen: Recht, Dienstleistungen und Medien“, Dreiländerkongress „Neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit“ 29.09.–01.10.2011 Innsbruck
    Englert, Ludwig-Mayerhofer, Sondermann
  • Zwischen Dienstleistungsorientierung und hoheitlichem Handeln. Deutungs- und Bewältigungsmuster von Beschäftigten aus Bürgerund Standesämtern. Ad-hoc-Gruppe „Der Staat als Arbeitgeber und Dienstleister: Integrativ und vielfältig?“ beim 36. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Oktober 2012 in Bochum
    Englert, Ludwig-Mayerhofer, Schmidtke, Sondermann
  • „Is ne zusätzlische Sischerheit für Sie.“ – Die praktische Realisierung von Staatlichkeit in Face-to-Face-Interaktionen auf Bürger- und Standesämtern zwischen Standardisierung und Fallbezug. 22. Tagung der AG Objektive Hermeneutik, September 2012 in Siegen
    Behrend, Englert, Schmidtke, Sondermann
  • „Is ne zusätzlische Sischerheit für Sie.“ – Die praktische Realisierung von Staatlichkeit in Face-to-Face-Interaktionen auf Bürgerämtern. Sektion Politische Soziologie „Aktuelle Forschung zu politischer Soziologie“ beim 36. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Oktober 2012 in Bochum
    Schmidtke Behrend, Englert, Ludwig-Mayerhofer, Sondermann
  • „Sie brauchen mich nicht dabei angucken, Sie können sich dabei angucken . . . “. Ehe und Eheschließung im Standesamt unter Bedingungen der Deinstitutionalisierung. Sektion Familiensoziologie: „Aktuelle Projekte familiensoziologischer Forschung“ beim 36. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Oktober 2012 in Bochum
    Behrend, Ludwig-Mayerhofer, Sondermann
  • (2013): „Ich versuch hier auch immer so dieses Amtliche irgendwie noch ’n bisschen zu überspielen.“ Emotions- und Gefühlsarbeit in der öffentlichen Verwaltung als Ausdruck von Staatlichkeit im Wandel. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 38, 2, 131-147
    Englert, Kathrin; Sondermann, Ariadne
  • Public Servant or Service Provider? Professional Identities and Interpretations of Statehood in Germany’s Public Administration Panel „Emerging Issues in Regulatory Governance“. Law & Society Association Annual Meeting Mai 2013 in Boston
    Englert, Sondermann, Ludwig-Mayerhofer, Schmidtke
  • Public Servant or Service Provider? The Dilemma between Customer Orientation and Authority in Face-to-face Interactions at Public Administration Offices. ESA Conference „Crisis, Critique and Change“, August 2013 in Turin
    Schmidtke, Behrend, Englert, Ludwig-Mayerhofer, Sondermann
  • „Ich will eine Erklärung warum ich das machen soll ...“. Krisen der Interaktion in der Realisierung von Staatlichkeit und ihre mikrosoziologische Rekonstruktion. Kongress der österreichischen Gesellschaft für Soziologie 2013 – „Krisen in der Gesellschaft - Gesellschaft in der Krise“, Linz, September 2013
    Schmidtke, Englert, Sondermann, Ludwig-Mayerhofer, Behrend
  • (2014): Der ,arbeitende Staat‘ als ,Dienstleistungsunternehmen‘ revisited: Berufliches Handeln und Selbstdeutungen von Frontline-Beschäftigten nach zwanzig Jahren New Public Management. In: Zeitschrift für Sozialreform 60, 2, 175-201
    Sondermann, Ariadne; Englert, Kathrin; Schmidtke, Oliver; Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang
    (See online at https://doi.org/10.1515/zsr-2014-0205)
  • (2014): Welche Zukunft hat der ,arbeitende Staat‘? Perspektiven wohlfahrtsstaatlicher Akteure, Professionen und Praktiken. In: Zeitschrift für Sozialreform 60, 2, 117-122
    Gottschall, Karin; Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang; Vogel, Berthold
    (See online at https://doi.org/10.1515/zsr-2014-0202)
 
 

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