Deutsche Demokratische Erinnerung. Die geschichtspolitische Selbstverständigung über die DDR-Vergangenheit nach 1989/90.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde der Rolle früherer Bürgerrechtler in der Geschichtspolitik des Bundes nach 1989/90 nachgegangen. Die Akteursorientierung verdeutlicht nicht nur, das sich DDR-Bürgerrechtler nach 1989 über Aufarbeitungsthemen politisch ,etabliert' haben. Sie veranschaulicht die widersprüchlichen Ausgangsvorstellungen über mögliche Themen, Funktionen und Instrumente einer DDR-Aufarbeitung auf Bundesebene. Sie erklärt insbesondere, welche dieser Vorstellungen, miteinander kombiniert, den Weg zu der von Norbert Frei als „staatliche Geschichtsbemächtigung" bezeichneten DDR-Aufarbeitung geebnet haben und warum das „Diktaturgedächtnis" (Martin Sabrow) auch langfristig auf Ebene des Bundes dominieren wird. Das für die Mitwirkung früherer Bürgerrechtler an der DDR-Aufarbeitung entscheidende Zeitfenster war die Zeit bis 1998, als sie, entsprechend ihrer spezifischen Aufklärungs- und Delegitimierungsbedürfnisse, das Stasi-Unterlagen-Gesetz mit auf den Weg brachten und über die beiden SED-Enquete-Kommissionen des Bundestages institutionell und diskursiv innovativ auf die Geschichtspolitik des Bundes einwirken konnten. Zugleich war dies die Phase ihrer sehr heterogenen politischen ,Ankunft im Westen'. Ohne den Zäsur-Charakter von 1989 in Frage zu stellen, lassen sich hier Kontinuitäten aus der DDR-Oppositionszeit erkennen. Die präformierende, das strukturelle Auseinanderfallen des bürgerrechtlichen Milieus vorantreibende bundesrepublikanische Ordnung war Hintergrundfolie seiner Re-Etablierung als Aufarbeitungsnetzwerk. Die Kehrseite des (politisch-praktisch anders kaum denkbaren) Einschreibens von Aufarbeitungszielen in die parteipolitisch instrumentalisierte DDR- bzw. SED/PDS-Debattenlandschaft lag im sukzessiven Verlust fast jeglicher spezifisch bürgerrechtlicher Aufarbeitungschancen. Die Rolle der Bürgerrechtler war auch und doch stets mehr als ein Alibi für Parteipolitik, im Gegenteil hat die Repressions- und Widerstandsthematik erst durch sie jene auch strukturelle Prominenz erreicht, die sie sonst kaum bekommen hätte. Für ihre Rolle nach 1989 wurde von immer geringeren Belang, was sie einst politisch erreichen wollten, solange sie den „antitotalitären Konsens" - die geschichtspolitische Selbstverortung im vereinten Deutschland - beleumundet haben. Dessen bundespolitische Institutionalisierung wirkte als Symbolisierung einer ganzen Diskursordnung und stabilisierte das „erinnerungskulturelle Paradigma" (Sabrow). Durch die Zurückdrängung Jener, die ihre 1989er-ldeale nicht aufgeben wollten, ist die Gruppe der an der DDR-Aufarbeitung (nach wie vor) teilhabenden „Bürgerrechtler" als historischer und politischer Akteur neu ,erfunden' worden. Das Projekt demonstriert, auch im Hinblick auf Debatten um ein „europäisches Geschichtsbild", wie sehr die DDR-Aufarbeitung als Phänomen eines zeit- und deutschlandspezifischen Zusammenspiels partikularer Akteursinteressen bzw. -Überzeugungen innerhalb eines spezifischen politischen Handlungshorizonts aufzufassen ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Der Umgang mit „1989" im vereinigten Deutschland, in: Peter Skyba/ Sebastian Richter/ Stefan Schönfelder (Hrsg.), Himmelweit gleich? Europas '89. 4 Ausstellungen in Dresden, Prag, Wroclaw und Bratislava/Zilina, Dresden 2010, S. 26-34 [engl. Textübersetzung in: ebd., S. 27-35]
Sebastian Richter
- Die Erinnerung an 1989 und die Geschichtspolitik von 2009, in: Deutschland Archiv 43 (2010) 1, S. 109-116
Sebastian Richter
- Die Mauer. Errichtung, Überwindung, Erinnerung, München 2011
Klaus-Dietmar Henke, (Hrsg.)
- Zwischen Orden und Spott. Das vereinte Deutschland und seine DDR-Bürgerrechtler, in: Marcus Böick/ Anja Hertel/ Franziska Kuschel (Hrsg.), Aus einem Land vor unserer Zeit. Eine Lesereise durch die DDR-Geschichte, Berlin 2012, S. 231-242
Sebastian Richter
- Abenteuer Gauck-Behörde. Geheimpolizeiforschung zwischen politischen Erwartungen, behördlichen Zwängen und wissenschaftlichem Anspruch: ein persönlicher Bericht, in: Carlos Collado Seidel (Hrsg.), Geheimdienste, Diplomatie und Krieg. Das Räderwerk der Internationalen Beziehungen. Festschrift zum 65. Geburtstag von Wolfgang Krieger, Berlin/Münster 2013, S. 115-128
Klaus-Dietmar Henke