Entwicklung einer Methodik zur Risikobewertung von bestehenden Industrieanlagen unter seismischer Belastung
Final Report Abstract
Hauptziel des beantragten Transferprojektes war die Entwicklung einer Methodik zur Risikobewertung von bestehenden Industrieanlagen unter seismischer Belastung. Im Rahmen dieser Zielstellung wurde ein dreistufiges Bewertungssystem erarbeitet, mit welchem die Erdbebensicherheit bestehender Einzelkomponenten oder ganzer Anlagen - je nach konkreter Aufgabenstellung - in drei verschiedenen Detaillierungsgeraden untersucht werden kann. Projektmitarbeiter und Kooperationspartner konnten an über 40 bestehenden Industrieanlagen die Evaluierungsmethodik erproben und optimieren. Für die Analyse in den Detaillierungsgraden II und III sind grundsätzlich rechnerische Untersuchungen erforderlich. Hier konnten für einzelne Komponententypen wesentliche Fortschritte in den Rechenverfahren erreicht werden: Bei der rechnerischen Untersuchung von Tragstrukturen kamen unter anderem nichtlinear-statische Methoden zum Einsatz, die im Rahmen einer Dissertation am LBB auf die besonderen Gegebenheiten im Anlagenbau angepasst wurde. Im Rahmen einer weiteren Dissertation wurde für beschleunigungssensitive Sekundärstrukturen ein Berechnungskonzept entwickelt, welches die Eigenschwingung des Tragwerks berücksichtigt und dadurch die Erdbebenbelastung in allen Tragwerksebenen realistisch abbildet. Zur Ermittlung der seismisch induzierten Belastung von Tankbauwerken wurde ein vereinfachtes und praxisnahes Verfahren auf Basis des added-mass-Verfahrens entwickelt. Mithilfe dieses Verfahrens ist es nun möglich, alle bemessungsrelevanten Lastkomponenten auf dünnwandige, bodenverankerte, zylindrische Tankschalen ohne die sonst übliche Iteration zu ermitteln und damit die Bemessung der Tankschale durchzuführen. Für gedrungene Tankbauwerke, bei denen Schubverformungen einen großen Einftuss auf die Schwingungsform haben, wurde obiges Verfahren durch Einbindung eines Rayleigh-Quotienten optimiert. Im Bereich der Schadensprognose musste die Tatsache Berücksichtigung finden, dass in verfahrenstechnischen Prozessen die Ausfallwahrscheinlichkeiten einzelner System-Komponenten miteinander gekoppelt sein können. Aus diesem Grund wurde für die Bewertung des Risikopotentials von Komponenten-Systemen ein multidimensionaler Ansatz zur Fragilitätsanalyse gewählt und weiterentwickelt, um interagierende Antwortgrößen und Antwort-Grenzwerte gleichzeitig berücksichtigen zu können. Im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen an bestehenden Industrieanlagen wurden für typische Komponentenkonstellationen konstruktiv sinnvolle und gleichzeitig wirtschaftliche Verfahren zur Minimierung des Risikopotentials entwickelt. Die intensiven Arbeiten des LBB auf dem Gebiet der Erdbebensicherheit von Industrieanlagen, nicht zuletzt im Rahmen des nun abgeschlossenen Transferprojekts, haben dazu geführt, dass der LBB maßgeblich die Neuauflage des vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) herausgegebenen Leitfadens „Der Lastfall Erdbeben im Anlagenbau" zu erarbeiten. Aufgrund des regen Interesses der Fachwelt am Thema „Erdbebensicherheit von Industrieanlagen" veranstaltete der LBB überdies im September 2013 erstmalig eine Internationale Konferenz zu diesem Thema (International Conference on Seismic Design of Industrial Facilities; www.SeDIF-Conference.de), die mit 140 Teilnehmern aus 17 Ländern sehr regen Anklang fand und zu intensivem Austausch zwischen Forschung und Praxis führte. Abweichungen vom im Antrag angezielten Arbeitsprogramm ergaben sich im Bereich der rechnerischen Untersuchungen (Arbeitsabschnitte B und C): Im Rahmen der seismischen Bewertung und Analyse bestehender Industrieanlagen stellte sich ein dringender Bedarf an einem praktikablen und gleichzeitig realitätsnahen Berechnungs- und Nachweisverfahren für seismische belastete Tankbauwerke heraus. Demzufolge wurden die Arbeiten auf dieses Feld ausgeweitet. Die oben beschriebenen Arbeiten zur Ermittlung der seismischen Einwirkungen auf bodenverankerte zylindrische Tankbauwerke wurden zuletzt auf die Untersuchung basisisolierter Tanks ausgedehnt. Numerische Untersuchungen haben im Rahmen des Transferprojektes effektive Möglichkeiten zur Spannungsreduklion in der Tankschale aufgezeigt. Bei der Entwicklung von Maßnahmen zur Risikominimierung soll in Zukunft auch der Einbau semi-aktiver Flüssigkeitssäulendämpfer Berücksichtigung finden. Dieser neuartige Dämpfertyp wurde im Rahmen eines anderen Forschungsprojektes am LBB entwickelt und 2013 zum Patent angemeldet. Die multidimensionale Betrachtung verschiedener Antwortgrößen bietet große Möglichkeiten für den Einsatz in alternativen Bereichen probabilistischer Risikoanalysen, wie beispielsweise dem Katastrophenschutz, Versicherungen oder Prozessingenieuren diverser Branchen. Überdies sollen im Rahmen zukünftiger Arbeiten die zu erwartenden strukturellen Schäden mit betriebs- oder volkswirtschaftlichen Kenngrößen gekoppelt werden.
Publications
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